Drin auf Bewährung
Debütant Adler, Verteidiger Westermann und sogar Kapitän Ballack – die Partie gegen Russland wird für die Nationalmannschaft zum Härtetest.
DÜSSELDORF Jobgarantien gibt es dieser Tage bei Jogi Löw nicht. Es herrscht ein vom Bundestrainer selbst forcierter Konkurrenzkampf. Vor dem WM-Qualfikationsspiel am Samstag gegen Russland (20.45 Uhr, ARD live) musste sich am Freitag sogar Kapitän Michael Ballack von einem Journalisten die Frage gefallen lassen: „Weißt du, ob du spielst?“ Zwar antwortete der Mittelfeldspieler vom FC Chelsea einigermaßen gelassen („Ich gehe davon aus, dass ich als Kapitän die Mannschaft aufs Feld führe“), doch eine Selbstverständlichkeit ist dies eben nicht mehr.
Und so sind gegen die Russen viele drin im Team – allerdings nur auf Bewährung. Die große AZ-Analyse:
DIE ROUTINIERS
Die Qualitäten des Fußballers Ballack stehen außer Frage, ob er jedoch als Kapitän noch geeignet ist, wurde zuletzt doch arg in Zweifel gezogen. Simon Rolfes und Thomas Hitzlsperger hatte bei den vergangenen Länderspielen sportlich aufgemuckt gegen den damals verletzten Ex-Bayern und dessen ebenfalls fehlenden Kumpel Torsten Frings (31). Auch die permanenten Streitereien mit DFB-Teammanger Oliver Bierhoff in Folge der Anbrüllerei nach dem EM-Finale schadeten dem Image Ballacks. Er hatte damals nicht zu den Fans gehen wollen.
Ist er noch der Chef im DFB-Team? Am Freitag redete er sich mit sportlichen Allgemeinplätzen raus: „So wie die Nationalmannschaft in den letzten Monaten und Jahren aufgetreten ist, hat sie gute Leistungen gebracht. Ich konnte die Diskussion nicht nachvollziehen, was meine Person angeht. Es hieß sogar, ich sei ein isolierter Kapitän, das hat mich gewundert.“
Tatsächlich muss sich der Star vom englischen Tabellenführer FC Chelsea nun bewähren – nicht als Sportler, sondern als Integrator. Und so versuchte er bereits am Freitag zu vermitteln: „Klasse ist gefragt, egal ob jung oder alt.“ Und weiter: „Es ist legitim, dass jeder Spieler Ziele hat. Wir sind dankbar für jeden Spieler, der an einer Position kratzt.“ Was sein Kumpel Frings etwas anders sieht. Der hatte nämlich gepoltert: „Jeder, der bei uns Verantwortung übernehmen will, ist herzlich willkommen. Aber da muss auch mal was kommen, nicht nur Reden.“ Vielleicht kommt schon gegen die Russen was. Löw überlegt, Frings auf die Bank zu setzen.
DER TORWART
Noch am Mittwoch hatte René Adler unumwunden zugegeben: „Momentan hat Robert die Nase vorn.“ Tags darauf hatte Robert Enke die Hand an der falschen Stelle. Als er einen Schuss von Philipp Lahm abzuwehren versuchte, brach sich die bisherige Nach-EM-Nummer 1 das Kahnbein der linken Hand. Gestern wurde der 31-Jährige in Hamburg operiert. Er wird drei Monate ausfallen. Drei Monate, in denen sich der erst 23-jährige Leverkusener Adler einen entscheidenden Vorsprung vor seinen aktuellen Rivalen, dem Bremer Tim Wiese (26), dem Schalker Manuel Neuer (22) und eben Enke, verschaffen kann. Von Bayerns Michael Rensing redet in diesen Tagen ohnehin niemand mehr. Nervös sei er nicht, behauptete Adler am Freitag, gab aber zu, „angespannter als vor einem Bundesliga-Spiel“ zu sein. Kein Wunder, geht es doch darum, wer sich langfristig, also im Hinblick auf die WM 2010, als Nachfolger von Jens Lehmann im deutschen Tor etablieren kann. „Wenn wir unsere Nummer eins wissen“, sagte dazu Bundestorwarttrainer Andreas Köpke, „dann werden wir sie auch bekannt geben. Das kann dauern, das kann aber auch kurzfristig sein.“ Die Partie gegen die Russen ist also die erste große Bewährungschance für den Leverkusener.
DIE INNENVERTEIDIGUNG
Bis zum 3:3 in Finnland dachten viele, dass das Duo Tasci/Westermann zu einer Alternative zum WM- und EM-Gespann Mertesacker/Metzelder werden könnte. Dann trafen in Helsinki Spieler wie Johansson, Väyrynen und Sjölund. Bundestrainer Löw wirkte entsetzt, und aus dem fernen London wurde das Grollen des notorisch nörgelnden Kapitäns Ballack vernommen („Offensive Spielweise ist ja schön und gut, aber wenn wir erfolgreich spielen wollen, muss das Defensiv-Verhalten stimmen“). Da allerdings Christoph Metzelder für Real Madrid derzeit noch unwichtiger ist als Breno für die Bayern, darf der Schalker Westermann mit dem Bremer Rückkehrer Per Mertesacker gemeinsam verteidigen. Und das muss er brillant machen, denn der Werder-Star wünscht sich nur eines: Lieblingskollege Metzelder an seiner Seite. Obwohl Löw den formschwachen Madrilenen nicht einmal nominiert hatte, sagte Mertesacker im „kicker“: „Mit mir und Christoph sind wir gut gewappnet für die Zukunft. Die Nationalmannschaft wird von uns als Innenverteidiger-Duo weiter profitieren.“ Wer weiß.
DER LUKAS
Etwas anders liegen die Sorgen bei Lukas Podolski. Bayerns Reservist ist beim Bundestrainer gesetzt, allerdings spielen bei Russland gleich zwei Offensivspieler, die in der Winterpause von St. petersburg zum FC Bayern wechseln könnten: Andrej Arschawin und Pavel Pogrebnjak. Da könnte dann auch Podolski ganz schnell draußen sein. Beim FC Bayern. Aber das ist eine andere Geschichte.
Jochen Schlosser
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