Dreimal wiederbelebt: Fußball-Globetrotter Pfannenstiel

Lutz Pfannenstiel saß in Singapur im Gefängnis und lag in England klinisch tot auf dem Fußballplatz. Kein Grund für den Torhüter ans Aufhören zu denken - aber Zeit für ein Buch war es schon
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Lutz Pfannenstiel spielte schon auf allen Kontinenten Fußball.
dpa Lutz Pfannenstiel spielte schon auf allen Kontinenten Fußball.

Lutz Pfannenstiel saß in Singapur im Gefängnis und lag in England klinisch tot auf dem Fußballplatz. Kein Grund für den Torhüter ans Aufhören zu denken - aber Zeit für ein Buch war es schon

AZ: Herr Pfannenstiel, Sie sind heute einer der bekanntesten Weltenbummler des Fußballs, haben in 16 Jahren 28 mal den Verein gewechselt und in über einem Dutzend verschiedener Länder gespielt. Dabei wären sie als Niederbayer ja fast beim FC Bayern gelandet – also nicht allzufern der Heimat

LUTZ PFANNENSTIEL: 1993 war ich für ein zweiwöchiges Probetraining an der Säbener Straße. Aber Oliver Kahn, mit dem ich dort trainierte, war damals schon so stark und so besessen, dass ich mir keine Chancen ausgerechnet habe, ihn bei den Profis zu verdrängen. Man bot mir einen Amateurvertrag an, den lehnte ich jedoch ab.

Die meisten Spieler hätten es bei einem anderen deutschen Verein probiert. Sie hingegen entschieden sich für das große Abenteuer.

Ja, vom damaligen Viertligisten 1. FC Bad Kötzting wechselte ich nach Malaysia. Die Leute dachten, ich bin verrückt! Aber dort konnte ich als Profi spielen.

Seitdem haben Sie auf der ganzen Welt gespielt, von Neuseeland bis Kanada. Wo hat es Ihnen am besten gefallen?

Da muss man unterscheiden: Die Lebensqualität war in Kanada und Norwegen am höchsten. Was das Fußballerische betrifft, war Brasilien toll: Ich war dort der erste deutsche Profi überhaupt. Und durch meinen Vertrag bei dem Klub CA Hermann Aichinger wurde ich der erste Fußballer des Planeten, der in jedem der sechs FIFA-Kontinentalverbände als Profi auf dem Platz stand. Ein Höhepunkt meiner Karriere!

Sie erlebten aber auch Tiefschläge: In Singapur mussten Sie unschuldig für dreieinhalb Monate ins Gefängnis. Die Zeit dort schildern Sie in Ihrem Buch: Kakerlaken legten ihre Eier in den Ohren der Häftlinge ab..

Die Zustände sind unmenschlich, man wird wie ein Tier gehalten. Acht Mann in einer Zelle. Eine Toilette gibt es nicht, nur ein Loch im Boden, es stank bestialisch. Das Essen war spartanisch und wurde mir am Anfang oft von anderen Häftlingen weggenommen. Irgendwann merkte ich, dass ich anfangen musste, mich zu wehren. Wenn die Hemmschwelle zuzuschlagen einmal überschritten ist, wird das normal: Dann schlägst du zu – um dich zu schützen.

Sie müssen sich gut gewehrt haben, immerhin kamen Sie relativ unversehrt wieder raus. Noch dramatischer wurde es aber ein paar Jahre später – auf einem englischen Fußballplatz. Sie wissen, worauf ich anspiele?

Ja, ich stand damals für Bradford Park Avenue im Tor. Ein Stürmer knallte bei einem Zweikampf mit seinem Knie gegen meinen Brustkorb. Meine Lungenflügel klappten zusammen. Ich musste auf dem Platz dreimal wiederbelebt werden und hatte eine Art Nahtod-Erfahrung: Während meiner Bewusstlosigkeit bewegte ich mich dreimal auf ein helles Licht zu. Und dreimal zog es mich, kurz bevor ich es erreichte, wieder zurück.

Für einen – Entschuldigung – Verrückten wie Sie kein Grund, ans Aufhören zu denken. Zehn Tage später standen Sie wieder auf dem Platz.

Und zwar zum völligen Unverständnis von Trainer, Mitspielern und Fans. Fünf Minuten nach Anpfiff kam es zu einer ähnlichen Situation wie bei dem Unfall. Ich stürzte mich wild entschlossen auf den Ball. Der Stürmer zog zurück und meinte nur zu mir: Du bist absolut wahnsinnig!

Da kann man ihm nur zustimmen. Haben Sie in ihrer Karriere Spieler getroffen, die ein ähnliches Leben wie Sie führen?

Viele! Vor allem Südamerikaner, Afrikaner und Spieler vom Balkan. Viele Brasilianer spielen auf den Malediven, viele Kroaten in Indien oder Pakistan. Der Fußball ist heute sehr globalisiert. Ich kann mich an ein Trainingslager in Magdeburg erinnern, das unglaublich war: Jeden Tag tauchten Spieler auf, von Paraguay bis Burkina Faso und sehr viele Osteuropäer. Oft durften die dann bei einem Freundschaftsspiel eine Halbzeit lang spielen und wurden dann am Bahnhof wieder rausgeschmissen. Dann fuhren sie mit ihrem Rucksack zum nächsten Verein.

Ganz so schlimm erging es Ihnen nicht. Sie schreiben, dass Sie sich neue Vereine stets per Handy und Laptop vom Schreibtisch aus organisiert haben.

Ich habe mittlerweile ein gut gefülltes Adressbuch. Hin und wieder vermittle ich heute auch Spieler an Vereine auf der ganzen Welt.

Würden Sie einem jungen Deutschen, sagen wir, aus der Regionalliga, den Schritt ins Ausland empfehlen?

Mit Sicherheit. Wenn du die Möglichkeit hast, dich dort sportlich zu verbessern, dann sowieso. Außerdem: Reisen bildet. Für die Persönlichkeitsentwicklung gibt es nichts Besseres. Wichtig ist aber, dass man in dem anderen Land offen ist, sich einordnet und vor allem die Menschen und deren Kultur respektiert.

Interview: Alexander Neumann

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