"Diese Leidenschaft, diese Freude – einfach verrückt"
Die Amerikanerin Anastacia (47) ist eine der erfolgreichsten Sängerinnen der Welt ("In and Out of Love", "Paid My Dues").
2002 performte sie "Boom", den offiziellen WM-Song der Weltmeisterschaft in Südkorea und Japan. Am 11. Juli tritt sie beim Tollwood in München auf. In der AZ spricht sie über ihre Erfahrungen bei der WM 2002, weinende Männer beim deutschen WM-Sieg 2014, ihre Krebserkrankung und ihre "Wiederauferstehung".
AZ: Hallo, Anastacia, der unvergessene Nelson Mandela hat unter anderem zwei berühmte Sätze gesprochen: "Sport hat die Kraft, die Welt zu verändern" und "Musik ist der schnellste Weg zum Herzen". Beides haben Sie erfahren dürfen, als Sie bei der WM 2002 das offizielle Lied "Boom" gesungen haben.
ANASTACIA: Mandela hatte, wie so oft in seinem Leben, recht. Man darf nicht vergessen: Die WM hatte zwei Ausrichterländer, Japan und Südkorea. Nationen, die nicht die besten Freunde sind, von denen jede die WM lieber allein gehabt hätte. Aber im Endeffekt hat es funktioniert, sehr gut funktioniert. Der Sport hat sie zusammengebracht und das wurde in der Welt positiv aufgenommen. Es zählte nicht, welche Hautfarbe, welches Geschlecht, welche Rasse, welche religiöse Überzeugung man hat. Das ist für mich der Kern unseres Seins. Dass wir alle miteinander auskommen können. Gibt es eine schönere Vorstellung, als dass alle Leute zusammen kommen und nicht einmal merken, dass es unterschiedliche Rassen sind, dass es unterschiedliche Hautfarben sind? Eine farbenblinde Welt? Man sollte sich in allem, was man tut, nicht von der Politik leiten lassen, sondern den Werten der Menschlichkeit.
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Etwas, was Mandela immer vorgelebt hat. Sie haben ihn ja selber getroffen.
Mir ist die Luft weggeblieben. Es war ein unglaubliches Erlebnis, einen Menschen zu treffen, der so viele Widrigkeiten überwunden hat, um Dinge zu erreichen von denen wir Normalsterblichen nicht einmal zu träumen wagen. Er war ein Mensch, wie es nicht viele auf der Welt gibt. Und ich rede nicht nur von der Gegenwart. Ich empfand es als surreal, mit so einem Mann im Raum zu sein, gleichzeitig habe ich es als unvorstellbaren Segen empfunden, dass ich eine derart ruhige, sanfte und sanftmütige Seele kennenlernen durfte. Ein Mensch, der in seinem Leben so viel Ungerechtigkeit, so viel Qual erleben musste, aber ein Wesen hatte, das so viel Wärme, Herzlichkeit, Großzügigkeit, Bescheidenheit und Liebe ausstrahlt. Das ist genau das, was ich jedem Mensch auf der Welt wünsche. Wenn jeder von uns einen Hauch von Mandela in sich finden würde, wäre die Welt ein viel besserer Ort. Sport kann dazu beitragen, mit den Werten, für die der Sport eben steht.
"Männer beim WM-Sieg 2014 weinen zu sehen, hat mich tief berührt"
Wie muss man sich Anastacia als Fan vorstellen?
(lacht) Ich werde nie still und leise sein, das bin einfach nicht ich. Ich war 2014 in Deutschland, als ihr Weltmeister wurdet. Zu sehen, wie die Menschen auf den Autos herumsprangen, war unglaublich, war ansteckend. Wir waren in einer Kneipe und die Hälfte der Fans stand auf den Tischen, halbnackt, mit Schriftzügen auf den Körpern. Es war verrückt! Diese Freude! Diese Leidenschaft! Männer zu sehen, wie sie vor Freude weinend am Boden sitzen, hat mich tief berührt. Ich hätte ihnen am liebsten Blumen geschenkt, weil ich mich so für sie Freude habe, dass sie diese Gefühle in dieser Intensität erleben durften.
Viele Sportler nutzen die Kraft der Visualisierung, um Ziele zu erreichen. Etwas, was Sie während Ihrer schweren Krebserkrankung auch getan haben. Sie haben sich sehr bildlich vorgestellt, wie es ist, danach wieder Lieder zu schreiben, wieder auf der Bühne zu stehen.
Stimmt. Ich glaube, dass es unglaublich wichtig ist, die Zukunft, das Licht in der Dunkelheit zu sehen, die einen in diesem Moment umgibt. Es gibt dir Hoffnung auf das, was nach all den Qualen, den Ängsten auf dich wartet. Aber wenn du dieses Ziel vor Augen hast, wenn du für dich weißt: Wenn ich all das ertragen und hinter mir habe, wartet das auf mich. Und das. Und das. Dann kannst du deine Gedanken so verändern, dass die Hoffnung überwiegt. Wer an diese Kraft der Visualisierung glaubt, wird den Glauben finden, dass er sein Schicksal selber bestimmen kann. Ich denke, dass man so Gott und den Mächten in der Welt nahe kommen kann.
Hat sich durch Ihre Erkrankungen die Einstellung zum Leben verändert?
Ich weiß nicht, ob es ein Stück Weisheit ist, die mit dem Alter kommt, oder ob es die Erfahrungen mit meinen gesundheitlichen Problemen sind, dass ich jeden einzelnen Moment so ungemein genieße. Ich bin voller Respekt und Demut für die Dinge, die uns geschenkt wurden. Ich bin ein Mensch, dem sehr bewusst ist, dass es möglicherweise kein Morgen gibt. Also lass uns die Dinge, die wir tun wollen, heute machen, morgen kann zu spät sein. Wir lassen uns viel zu oft von der Arbeit oder dem Drama des Alltags von den wichtigen Dingen ablenken. Das aber sind die Dinge, die die Seele erhalten.
Der Titel Ihrer neuen CD lautet "Resurrection" – Wiederauferstehung – ist das für Sie ein Lebensmotto?
Ja. Diese Platte war der Wendepunkt zu meiner eigenen Wiederauferstehung. Ich habe in den Zeiten der Krankheit sehr viel über mich erfahren. Alles ändert sich. Aber jedes Ende von Etwas ist der Anfang von etwas Neuem. Und wirklich jeder Mensch trägt die Kraft in sich, einen Neuanfang zu machen. Ich bin von einem zehnjährigen Kampf gegen den Krebs zurückgekommen. Einem Leben mit der Krankheit Morbus Crohn und einer Herzerkrankung. Ich glaube an Wiederauferstehung, ich fühle, dass meine Musik wieder mit Leben erfüllt ist, nachdem ich ein Tief durchgemacht habe. Daher, ja, Resurrection ist mein Lebensmotto, das bin ich.