Die Zeit läuft – gegen Ballack

Bundestrainer Joachim Löw gewinnt mit dem Verzicht auf den Kapitän a.D. für die nächsten beiden Länderspiele nochmals fünf Wochen – und kann so die Rückkehrfrage prinzipiell überdenken.
LEVERKUSEN Nun haben sie doch mal miteinander telefoniert. „Es war ein gutes und vertrauensvolles Gespräch“, sagte Joachim Löw am Freitag über seine Unterredung mit Michael Ballack recht nebulös. Wann der Leverkusener in die Nationalmannschaft zurückkehrt und ob ihn der Bundestrainer noch einmal zum Kapitän macht, bleibt weiter offen.
Es war eine Null-Lösung, die der DFB-Coach gestern für die EM-Qualifikationsspiele gegen Belgien in Brüssel (Freitag, 3. September) und gegen Aserbaidschan in Köln (Dienstag, 7. September) präsentierte. Philipp Lahm wird die deutsche Nationalmannschaft auch bei den ersten Pflichtspielen nach der WM als Kapitän anführen. Denn Michael Ballack steht definitiv nicht im 21 Spieler umfassenden Aufgebot, dem 17 Südafrika-Fahrer angehören.
„Michael ist drei Monate nach seiner schweren Verletzung auf einem guten Weg und alle sind mit dem Genesungsprozess zufrieden. Wichtig wird nun sein, dass er in den nächsten Wochen in Leverkusen zu seiner optimalen Form zurückfindet“, sagte Löw. Doch der Schwebezustand wurde verlängert. Und das ist es ein weiteres Zeichen dafür, dass es Ballacks Sonderstellung im DFB-Team nicht mehr gibt. Nun aber begrüßen sogar die Leverkusener die Nichtnominierung: „Es ist eine sehr vernünftige Entscheidung vom Bundestrainer und von Michael Ballack, dass Michael auf die beiden Begegnungen verzichtet“, sagte Bayer-Sportdirektor Rudi Völler.
Möglicherweise wird Ballack das Jubiläum seines 100. Länderspiels am 12. Oktober in Astana gegen Kasachstan zum ungewöhnlichen Anstoß um 23 Uhr Ortszeit (19 Uhr MESZ) begehen, im Anschluss an das Heimspiel gegen die Türkei in Berlin (8. Oktober). Dass Ballack seine Karriere im DFB-Trikot sofort beendet, wenn Löw dauerhaft Lahm als neuen Kapitän installieren würde, ist nicht gesichert.
„Kapitän ist Ballack ja nach wie vor“, sagte DFB-Präsident Theo Zwanziger. Wenn sich Löw aber anders entscheiden würde, bedeute dies keine „Demontage von Ballack“. Aus dem Umfeld der Nationalelf ist nun zu vernehmen, die Sache sei im Prinzip schon gelaufen – Lahm habe die besseren Karten. Doch es gehört zu den Prinzipien von Löw, sich nicht zu früh festzulegen. Durch den aktuellen Verzicht auf Ballack hat der DFB-Chefcoach erst einmal fünf Wochen Zeit gewonnen.
Erst wenn er Ballack im Oktober beruft, muss Löw das Machtgefüge seines Teams neu ordnen. Lahm erneuerte seinen Anspruch, vom Interimskapitän zum dauerhaften Spieler-Chef zu werden. Aber der Münchner äußerte aber auch, dass er „kein Problem“ mit Ballack habe. Ballack wiederum hat sich entschieden, vorerst abzuwarten. Er weiß, dass sich seine Forderung, das Kapitänsamt zu behalten, schlicht erledigt hat, wenn er zwar berufen wird, aber nicht mehr der Stammelf angehört. „Mit mehr Spielpraxis wird Michael zur Normalform finden und noch besser werden“, sagt Ballacks Klubtrainer Jupp Heynckes.
Doch die Zeit läuft – gegen Ballack. „Er sollte schauen, dass er jetzt erst mal wieder gesund wird“, sagte Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge dem „Merkur“. „Ob Philipp Lahm jetzt oder in ein, zwei Jahren Kapitän der Nationalelf wird, ist doch egal: er wird es – das ist so sicher wie das Vater Unser in der Kirche.“
Für Löw ist die Lösung eines anderen Problems wichtiger. Wie sehr verändert sich seine Mannschaft durch eine Ballack-Rückkehr? Inwieweit ist die Balance der Elf und die Leistungsfähigkeit anderer Spieler betroffen, wenn das Alpha-Tier in seine junge Herde integriert werden müsste?
Noch sitzt Löw das Problem aus.
Gregor Derichs