Die WM-Streitfrage: Hat Lahm ein Eigentor fabriziert?
Die AZ-Redakteure Gunnar Jans und Michael Schilling diskutieren über Lahms Machtanspruch, auch nach der WM DFB-Kapitän sein zu wollen.
JA
Fast vier Wochen nun war Fußball-Deutschland eine Spaßgesellschaft, angeführt von Herzenskickern. Und nun geht es plötzlich um Platzhirsche, Machtfragen, persönlichen Profit, auch um alte Abrechnungen.
Ich weiß nicht, was in Philipp Lahm gefahren ist, einen Tag vor dem WM-Halbfinale einen Machtkampf mit Michael Ballack anzuzetteln. Auch wenn er in der Sache Recht hat und Ballacks Zeit abgelaufen ist als Kapitän (und ja: sogar als Spieler) dieser Nationalmannschaft, so könnte der Zeitpunkt der Debatte nicht ungünstiger gewählt sein. Interne Muskel- und Ränkespiele in der Finalwoche sind so überflüssig wie ein ohne Not verursachter Handelfmeter in der Schlussphase. Man kann nur eines hoffen: Dass Lahm nicht für sich handelte, nicht nur zum eigenen Vorteil, sondern im Auftrag der Mannschaft, die ihres Ex-Kapitäns längst überdrüssig geworden ist und ihm dies nun durch dessen Nachfolger mitteilen lassen wollte. Doch auch das hätte Zeit gehabt bis nach dem Finale.
Gunnar Jans
NEIN
Huch, wie sind die Chefbedenkenträger neulich zusammengezuckt, als sich Bastian Schweinsteiger vor dem Viertelfinale ohne Not mit den Argentiniern angelegt hat: Unhöflich, unklug, unpassender Zeitpunkt! Seit Schweinsteiger die Argentinier mit einer Weltklasseleistung heimgeschickt hat, herrscht Ruhe.
Nun also hat Philipp Lahm ein, jawohl: Machtwort gesprochen, das sich gegen Michael Ballack richtet. Die Reaktionen? Unhöflich, unklug, unpassender Zeitpunkt! Huch!
Dabei sind nachgerade Mut, Forschheit und Risikobereitschaft Kennzeichen dieser Nationalmannschaft, die aller Welt so „neu“ vorkommt. Wenn sie zusammen bleibt (und dagegen spricht: nichts!), hat Michael Ballack in ihr keinen Platz, erst recht nicht als Kapitän. Weder steht er für die Mentalität dieser Gruppe, die ohne Alphatiere auszukommen scheint, noch für ihre Art, Schmankerlfußball zu spielen. Unabhängig vom Zeitpunkt seines Vorstoßes liegt Lahm richtig. Sobald er am Sonntag den Pokal stemmt, wird ihm kaum noch einer widersprechen.
Michael Schilling