Die Selbstdemaskierung des Gianni Infantino
Lieber Herr Infantino, mit Verlaub: Sie sind nicht homosexuell, Sie sind nicht behindert, Sie sind kein Araber, kein Katarer, Sie sind nicht afrikanisch, Sie sind kein Arbeitsmigrant. Sie sind ein Machtmensch, der einmal rote Haare und Sommersprossen hatte.
Nur, weil Sie glauben, aufgrund dieser Physiognomie auch mal gemobbt worden zu sein, haben Sie trotzdem nicht die leiseste Idee davon, was es heißt, wenn man in Katar homosexuell ist, was es bedeutet, ein Arbeitsmigrant zu sein, der um sein Leben, sein Überleben kämpfen muss.
Missachtung für die Realität
Aus Ihnen spricht nicht die Ahnung, sondern die selten so demaskierend zur Schau getragene Ahnungslosigkeit, die Abgehobenheit derer, die nicht nur eine vollkommene Missachtung für die Realitäten haben, sondern mit "alternativen Fakten" ein Paralleluniversum jenseits der Wahrheit erschaffen, eine Bubble der Selbstgerechtigkeit, der Amoral. Donald Trump lässt grüßen.
Die Bürde der eigenen Geschichte
Ja, Sie haben recht, wenn Sie feststellen, dass die Geschichte Europas auch von Gewalt, Kolonialismus, Verbrechen geprägt ist. Daraus aber abzuleiten, dass sich die Europäer 3.000 Jahre entschuldigen müssen, bevor wir anfangen, moralische Ratschläge zu verteilen, ist absurd, abstrus, hanebüchen. Gerade diese Bürde der eigenen Geschichte und Verbrechen ist Auftrag, sich mit den Opfern, den Unterdrückten zu solidarisieren, alles zu tun, damit sich dieses Leid nicht weiter fortsetzt.
Nachhaltig?
Sie echauffieren sich, dass der Westen in seiner heuchlerischen Doppelmoral die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Katar und damit die Erfolge der Zusammenarbeit der Fifa mit zweifelhaften Machthabern nicht würdigt? Zur Erinnerung: Die Nachhaltigkeit des Einflusses der Fifa hat man gerade an Russland, Gastgeber der WM 2018, gesehen. Wenn das Ihr Erfolg ist, will man Ihre Misserfolge bitte nie erleben.
Ihr Auftritt jetzt war zynisch, unwürdig. Man müsste Sie dafür in die Wüste schicken. Aber: Das trauen sich die Fifa-Delegierten bei der Wahl im März 2023 sowieso nicht. Oder anders gesagt: Sie werden sicher noch lange im Amt, aber ohne Würde sein.
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