Die Multi-Kulti-Elf: Schwarz, rot, gold und bunt
Noch nie gab es eine Nationalmannschaft mit so ausgeprägten ausländischen Wurzeln. Das tut dem Spiel gut – und dem Land auch.
Es ist nur vier Jahre her, da war die Sache eine Sensation. Als Lukas Podolski vor der WM 2006 in Deutschland verriet, dass er auf dem Platz schon mal auf Polnisch mit Sturmpartner Miroslav Klose kommuniziere, wurde dies zum großen Medienthema. Man spricht Polnisch in der deutschen Nationalelf - ja, geht das denn? Sachen gibt's!
Nun sind beide wieder im Kader. Doch Exoten sind sie schon lange nicht mehr. Bei der EM 2008 waren es sieben, nun haben sogar elf der 23 Spieler, die von Joachim Löw in den endgültigen Kader für die WM berufen wurden, ausländische Wurzeln oder wie man so hässlich sagt: Migrationshintergrund. Ein umständliches Wort für eine unkomplizierte Generation von Fußballern, deren Herkunft oder Abstammung untereinander überhaupt keine Rolle mehr spielt. Podolski, Klose, Trochowski, Marin, Boateng, Aogo, Khedira, Tasci, Özil, Cacau, Gomez. Eine Elf, okay ohne Torwart, aber sie könnte wohl mit einem guten Mann zwischen den Pfosten auch das Achtelfinale erreichen.
Den Fans in Deutschland ist das ohnehin egal. Trikot ist Trikot, wie bei einem Verein. Und die integrative Kraft der Geburtsstätten-Weltauswahl bringt auch viele Türken (Tasci, Özil), Polen (Trochowski, Klose, Podolski) oder Tunesier (Khedira), dazu, für die DFB-Elf zu schreien – zumal da deren eigene Teams sich nicht qualifiziert haben. Ein Trikot verbindet. Und gibt Hoffnung, Abwechslung vom tristen Alltag. Das nächste Sparpaket ist geschnürt, die Steuerbelastung wird steigen, der Euro wankt, die Arbeitslosigkeit dürfte steigen. Gut, dass WM ist.
Wie groß die Vorfreude auf Sommerabende mit Menschenmassen vor riesigen Leinwänden ist, zeigte vor zwei Wochen die Lena-Show in Oslo, als sie die Sanges-EM gewann und sich in die Herzen der Deutschen satellierte. Es geht wieder los: Public Viewing, Public Kostümierung, Public Jubling. Ein Land, eine Sehnsucht.
„Die Auftritte der Jungs geben unserer Arbeit einen unheimlichen Schub“, freut sich Gül Keskinler, die Integrationsbeauftragte des DFB, eine Türkin. „Wichtig ist aber auch, wie etwa ein Mesut Özil sich gibt. Die Fußballer haben mit ihrer Vorbildfunktion eine enorm wichtige Rolle, sie sind Botschafter für die Jugend.“
Die deutsche Nationalelf ist längst zu einer Auswahl geworden, wie sie bei jedem beliebigen Kick auf einem Schulhof in Deutschland zusammenfindet – ein bunter Haufen, ein fröhlicher Mix. Wichtig ist auf'm Platz, nicht auf'm Pass, dem Reisepass. Das Wunderbare daran: Diese Truppe repräsentiert tatsächlich ganz Deutschland. Mehr noch: In der aktuellen Nationalelf ist der Migrantenanteil (47 Prozent) fünfmal so hoch wie in der Bevölkerung mit neun Prozent. Damit liegt das DFB-Team verglichen mit allen 32 Mannschaften der WM auf Rang vier hinter Algerien, Australien und der Schweiz. Gastgeber Südafrika, England und Spanien etwa haben keine Kicker mit ausländischen Wurzeln im Aufgebot.
Dabei ist die Formel in einer Zeit, in der Inter Mailand die Champions League ohne einen einzigen Italiener in der Startelf gewinnt, folgende: Viele Kulturen heißt viel mehr Spielkultur. Bunt kickt gut. Nach dem schmählichen Vorrunden-Aus bei der EM 2000 überdachte der DFB sein Jugendkonzept. 2002 rief der damalige DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder das Talentförderprogramm ins Leben, das auch Khedira und Gomez genossen. Längst hat der Verband Erfolge vorzuweisen, was die Juniorentitel der U 21, der U 19 und der U17 zeigen. „Fußball ist Sportart Nummer eins, und die Jungen erhalten eine schnellere Anerkennung“, sagt Keskinler. Und die Nationalelf ist das Zugpferd.
Ab heute ist WM. Vier Wochen Ausnahmezustand. Vorher wurde Lukas Podolski noch gefragt, warum er die deutsche Hymne wie so viele seiner Mitspieler nicht mitsinge. Trocken antwortete er: „Das sollte jeder selbst wissen.“ Als ob das noch wichtig wäre.
Patrick Strasser