Die Machtpyramide der deutschen Nationalelf

Sevila - Die dunkle Wolke, von der DFB-Direktor Oliver Bierhoff letzte Woche als Metapher sprach, hat sich etwas aufgehellt. Nach dem 3:1 in der Nations League gegen die Ukraine, verbunden mit der Tabellenführung in der Gruppe vor Dienstag-Gegner Spanien in Sevilla (20.45 Uhr, ARD live), ist die Stimmung in der Nationalelf aktuell heiter bis flockig.
Und doch schiebt sich die immer selbe Gewitterwolke, im Fachjargon Cumulonimbus, über die Nationalmannschaft. Wie ein ständiger Begleiter, egal ob sich der Tross in Sachsen oder nun im sonnenreicheren Andalusien befindet. Eine mächtige Cumulonimbus beinhaltet nassen Ungemach. Wer sie sieht, dem drohen Regen, Schnee und Hagel. Im übertragenen Sinne: Jérôme Boateng, Thomas Müller und Mats Hummels. Immer wieder donnern Forderungen nach der Rückkehr der von Bundestrainer Joachim Löw 2019 aussortierten Weltmeister, ständig zucken Lichtblitze mit Top-Leistungen des Trios bei Bayern und Dortmund durch allerlei Empfangsgeräte.
Um die Niederschläge der Kritiker abzumildern, spannte Bierhoff einen Regenschirm der Worte auf, zog einen Vergleich: Kurz vor der WM 1998 in Frankreich hatte Bundestrainer Berti Vogts nach Drängen der Öffentlichkeit Routinier Lothar Matthäus zurückgeholt.
"Das macht etwas mit der Gruppe, weil solche Spieler Alphatiere sind", erklärte Bierhoff, 1998 selbst im Kader. Daher sagte er über das 2014er-Weltmeister-Trio: "Wenn du so verdiente Nationalspieler zurückholst, musst du einen gewissen Umgang voraussetzen. Sie wären gesetzt. Es ist absolut richtig, dass Jogi den Weg weitergeht. Den Jungen muss man Raum geben, um sich zu entwickeln." In einer Mannschaft, in der sich nach dem Umbruch eine neue Hierarchie geformt hat. Von den Rio-Champions sind nur noch Kapitän Manuel Neuer und Mittelfeld-Taktgeber Toni Kroos dabei. Zwei der vier aktuellen Bosse der Nationalelf. Die Übersicht:
Die Bosse: Erste Riege der Macht-Pyramide
Neben Neuer (löst mit 96 Länderspielen Sepp Maier als DFB-Rekord-Nationaltorhüter ab) und Kroos, mit 100 DFB-Einsätzen der erfahrenste des Kaders, zählen Joshua Kimmich und Leon Goretzka zur ersten Riege der Macht-Pyramide. Kimmich, nach seiner Meniskus-OP in der Reha, kommt mit seinen 25 Jahren auf 50 Länderspiele. Dass er nicht an Bord ist, beklagte Routinier Ilkay Gündogan: "Joshua fällt auch als Typ weg." Goretzka, bester Akteur gegen die Ukraine, verbesserte sein Standing bei Bayern und im DFB-Team durch gute Leistungen und klare Aussagen.
Führungsspieler: Drei sind kaum präsent
Neben Gündogan sind hier die Stammspieler zu nennen, die aber auf und außerhalb des Platzes (viel) zu ruhig auftreten: Abwehrchef Niklas Süle, Antonio Rüdiger, Matthias Ginter, der von Löw geschätzte Julian Draxler sowie Serge Gnabry und Timo Werner, deren Tore unerlässlich sind. Drei weitere Profis, deren Wort Gewicht hat, leiden darunter, kaum präsent zu sein: Marco Reus bestritt 2020 kein Länderspiel. Emre Can ist Ergänzungsspieler und Keeper Marc-André ter Stegen fiel lange nach einer OP aus, als Neuer-Stellvertreter kommt er eh kaum zum Einsatz.
Mitläufer: Noch nicht ausreichend Chuzpe
Sie streben nach mehr, haben aber noch nicht die Konstanz in ihrer Leistung sowie ausreichend Chuzpe: Lukas Klostermann, Marcel Halstenberg, Jonathan Tah, Thilo Kehrer, Julian Brandt, Kai Havertz, Luca Waldschmidt und die zwei Keeper, die um den Rang des dritten Torhüters kämpfen: Bernd Leno und Kevin Trapp. Selbst Leroy Sané gehört zu dieser Gruppe - wegen eines Kreuzbandrisses verlor der Neu-Bayer ein Jahr.
Die Frischlinge
Robin Koch, Philipp Max, Ridle Baku, Robin Gosens, Niklas Stark, Florian Neuhaus, Jonas Hofmann, Benjamin Henrichs, Nadiem Amiri und Mahmoud Dahoud.