Die krassen Zweier-Jahre: EM 2012 – oder als Balotelli Löw schockte

Sechs! Setzen, Basti! Die schlechteste aller Noten für Bastian Schweinsteiger? Unvorstellbar. Aber wahr. Die Klassenlehrer in den Redaktionen der Medien kennen keine Gnade mit den vermeintlichen Versagern. Zu tief sitzt die Enttäuschung im ganzen Land über das Aus.
Nach einer Serie von 15 Pflichtspielsiegen unter Regie des "Magiers" Joachim Löw ist auch die "Goldene Generation" um Schweinsteiger, Lahm, Mertesacker, Podolski, Klose, WM-Dritter 2006, EM-Zweiter 2008, WM-Dritter 2010, am deutschen "Angstgegner" Italien gescheitert.

Balotelli zerstört die deutschen Titelträume
Im Halbfinale der Europameisterschaft 2012 in Polen und in der Ukraine verliert der selbst ernannte Favorit 1:2. Am 28. Juni 2012 reißt im Warschauer Nationalstadion der Afro-Azzurri Mario Balotelli mit zwei frühen, spektakulären Toren den Bundestrainer, die Nationalmannschaft, Fußball-Deutschland aus allen Titelträumen. Das Gegentor durch Mesut Özils Handelfmeter fällt viel zu spät, erst in der Nachspielzeit. Noch nie hat die "Squadra Azzurra" in nunmehr acht WM- und EM-Spielen gegen "Germania" verloren.

"Jogi, wo war dein Gold-Händchen?", fragt "Bild". "Der entzauberte Bundestrainer" ("kicker") wird für das Aus bei der Europameisterschaft verantwortlich gemacht. Löw, bis dahin für sein Gespür bewundert, immer das Richtige zu tun, hat aus Respekt vor Andrea Pirlo Taktik und Personal gegenüber dem Viertelfinale (4:2 gegen Griechenland) radikal geändert. Marco Reus, André Schürrle und Miroslav Klose fehlen. Mario Gomez und Lukas Podolski kehren zurück, werden Totalausfälle. Erstmals steht Toni Kroos bei der EM in der Start-Elf, um Pirlo einzuengen. Verzockt.
Wirrwarr-Aufstellung und Taktikänderung verunsichern die eigenen Spieler mehr, als dass sie den italienischen Spielmacher stören. Es steht bereits 0:2, als Löw zur Pause "die ersten Fehler zur falschen Zeit" ("Die Welt") korrigiert: Reus und Klose für Podolski und Gomez. Etwas Schwung bringt der Wechsel. Sonst nichts. Nervös kaut der Bundestrainer an seinen Fingernägeln. "Das Gesicht der Niederlage", wird der Kölner "Express" feststellen. Der letzte verzweifelte Wechsel: Thomas Müller für Jérôme Boateng (71.). Es bleibt dabei: "Das Aus trägt Löws Handschrift" ("Die Welt"). Übrigens: Hansi Flick sitzt als Assistent neben dem Bundestrainer auf der Bank.
Schweinsteiger wird von den beiden Schulmeistern "kicker" und "Bild" in die Ecke gestellt. Der Mittelfeld-Stratege des FC Bayern sei gegen Pirlo untergegangen. "Pirlo zeigt es Schweinsteiger" ("kicker"). Der Maestro brilliert in der Tat. Dieses Genie mit den langen Zotteln ist 33 alt, sieht aber älter aus. Nach der Ausmusterung beim AC Mailand hat der Weltmeister von 2006 bei Juventus Turin ein grandioses Comeback gefeiert, inszeniert aus der Position des "Sechsers" mit Ruhe, Überblick und präzisen weiten Pässen die Angriffe.
Deutschland-Schreck Balotelli: Vom "Sorgenkind zum Helden der Nation"
Mario Balotelli – den Namen haben dem Straßenjungen die italienischen Pflegeeltern gegeben – wird vom "Sorgenkind zum Helden der Nation" ("Tuttosport") aufsteigen, als "Balotalia" verehrt werden, seine Body-Show in die Geschichte eingehen. Der in Palermo geborene Sohn ghanaischer Einwanderer reißt sich das Trikot vom Leib und spannt in Bodybuilder-Pose seinen muskulösen Oberkörper.

Der 21-jährige Paradiesvogel, goldener Haarkamm auf der Glatze, hat gerade mit einem 120-km/h-Schuss in den Torwinkel auf 2:0 (36.) erhöht.
Schon das 1:0 (20.), als der Mittelstürmer von Manchester City mit einer halben Körperlänge Holger Badstuber überspringt und mit dem Kopf den Ball ins Netz wuchtet, ist das Produkt seiner phänomenalen Athletik gewesen.
Ganz so schlecht wie die schlechten Noten suggerieren – außer Schweinsteiger auch Mario Gomez 6, Lukas Podolski 6, dann Mats Hummels 5, Holger Badstuber 5 und selbst Kapitän Philipp Lahm 5 – ist Löws Team freilich nicht gewesen. Nur nicht so abgezockt und effizient wie Cesare Prandellis "Squadra". Die beiden Mittelstürmer stehen exemplarisch für den Unterschied. Auf der einen Seite Super-Mario, auf der anderen Mini-Mario. "Gazzetta dello Sport" wird ihn verspotten; "Gomez ist so unbeweglich wie ein Laternenpfahl."
Der "Kratzer am Magier-Image" ("kicker") sitzt tief. "Ich übernehme die Verantwortung und stehe dafür gerade", sagt Joachim Löw unmittelbar nach der "sehr großen Enttäuschung". Man brauche einige Tage Abstand, um die Dinge einzuordnen. Nur so viel: "Es gibt keinen Grund etwas anzuzweifeln. Wir haben ein gutes Turnier gespielt. Die Mannschaft wird die Niederlage verkraften."
Zwei Jahre später sollte dieselbe Auswahl in Brasilien Weltmeister werden. Die Endspiel-Note des "kicker" für Bastian Schweinsteiger als "Gestalter des Spiels aus der Tiefe des Raumes": eine Zwei.