Die Halbfinal-Weltmeister: "Jahrhundertspiel" jährt sich zum 40. Mal

Sevilla - In der Historie der DFB-Länderspiele stehen zwei Partien ganz oben, man schreibt ihnen das Prädikat "Jahrhundertspiel" zu: Das mit 3:4 in der Verlängerung dramatisch verlorene WM-Halbfinale von Mexiko-City 1970 gegen Italien. Und da ist noch der "Thriller von Sevilla", das nicht weniger dramatisch gewonnene WM-Halbfinale 1982 gegen Frankreich.
Nach 1:3-Rückstand in der Verlängerung erreichte die Auswahl von Bundestrainer Jupp Derwall noch das Elfmeterschießen - und gewann. Endstand 8:7. Drei Tage danach verlor das DFB-Team im Madrider "Bernabéu" gegen Italien verdient mit 1:3. An diese Partie denkt heute, 40 Jahre später, kurioserweise kaum noch jemand. Man spricht lieber über die Semifinal-Gewinner von Sevilla des 8. Juli 1982. Lassen wir die "Halbfinal-Weltmeister" nochmal hochleben.

Für die Endrunde wurde Breitner zum DFB-Comeback überzeugt
Die Vorgeschichte war eine unschöne: Vernachlässigt man sogar das teamintern ausufernde Trainingslager in der Vorbereitung am schönen Schluchsee, dem heilklimatischen Kurort im Naturpark Südschwarzwald. Aus dem Schluchsee wurde der "Schlucksee", Torwart Toni Schumacher beschrieb es später als "Saufbumszock-Trainingslager". Für die Endrunde in Spanien hatte Derwall, der Coach der Europameister von 1980, Bayerns Mittelfeld-Motor Paul Breitner zum DFB-Comeback überzeugen können.

Die Vorrunde spielte man in Gijón, das Luxushotel Principe de Asturias lag an der Strandpromenade, der Lärm war ebenso ohrenbetäubend wie die Wut der Zuschauer als sich die Deutschen und Nachbarn Österreich im dritten Gruppenspiel nach 1:0-Führung knapp 80 Minuten den Ball im Trimmtrab hin- und herschoben. Beide waren bei diesem Resultat weiter, Algerien raus. Ein Skandal, eine Tragödie für das Renommée des deutschen Fußballs.
Horror-Foul von Schumacher überschattet das Frankreich-Spiel
Bis Sevilla. An jenem schwül-warmen Abend, als im Stadion Sanchéz Pizjuán die andalusische Hitze zur Anstoßzeit um 21 Uhr 33 Grad betrug, war alles geboten: Ein sportliches Drama samt der Tragödie um den Franzosen Patrick Battiston, der von Schumacher beim Stand von 1:1 (DFB-Tor: Pierre Littbarski/18. Minute) beim Herauslaufen mit voller Wucht rüde umgecheckt wurde.
Kein Tor, ein Schwerverletzter - und viel schlimmer: Zunächst keine Reue beim Täter. Battiston blieb in der 57. Minute benommen liegen, musste mit angeknackstem Halswirbel vom Platz getragen werden. Irgendwo lagen zwei Schneidezähne herum. Die Kölsche Frohnatur Schumacher sagte in der Nacht einem Journalisten: "Sagt ihm, dass ich ihm die Jacketkronen zahle." Ein nett gemeinter Satz, der ihm als Zynismus ausgelegt wurde und lange verfolgte. Bereits eine Woche später versöhnte er sich mit Battiston bei einem Besuch in Metz. Heute sagt Schumacher (68): "Das Wichtigste für mich ist, dass Patrick mir glaubt, dass ich ihn nicht verletzen wollte."
Als sich Fallrückzieher-Gott Fischer in die Geschichtsbücher schoss
Durch das 1:1, Michel Platini hatte einen Foulelfmeter verwandelt (27.), ging es in die Verlängerung - und jetzt erst so richtig los. Die Franzosen drehten auf und brillierten mit ihrem Star-Mittelfeld: 1:2 Trésor, 1:3 Giresse. Der verletzte Stürmer Karl-Heinz Rummenigge (gezerrter Oberschenkel) kam nun doch rein. Da soll Frankreichs Staatspräsident Francois Mittérand auf der Tribüne Böses geahnt haben: "Mon Dieu, Rümmenisch!"

Zehn Minuten später machte Rummenigge, damals Europas Fußballer des Jahres, artistisch das 2:3. Künstlerisch noch wertvoller war der 3:3-Ausgleichtreffer von Klaus Fischer. Der Mittelstürmer im Rückblick: "Mir sind schönere Fallrückzieher-Tore gelungen, aber keines hatte eine ähnliche Bedeutung."
Deutschland gewann erstes WM-Elfmeterschießen der Geschichte
Ab ins Elfmeterschießen, dem - ja, tatsächlich - ersten überhaupt bei einer WM. Libero Ulli Stielike ("Ich wollte nicht schießen, ist nicht meine Stärke") verballerte als erster nach zwei erfolgreichen Schützen auf beiden Seiten. Den am Boden kauernden, todunglücklichen Real-Profi munterte Schumacher auf mit: "Den nächsten halte ich."
Versprochen und: gehalten. Gegen Didier Six. Wenig später parierte Schumacher auch gegen den zaudernden Maxime Bossis, da hatte Horst Hrubesch das Finale auf dem Fuß und verwandelte den Matchball hanseatisch trocken: Drin. Weiter. Keiner war darüber glücklicher als Stielike.
Was ist dagegen schon ein verlorenes Finale?