Die große Debatte um Timo Werner: "Eine Katastrophe"
Nürnberg - Ein standesgemäßes 7:0 gegen die Amateure aus dem Kleinstaat San Marino, gegen den 204. der Fifa-Weltrangliste. Mit vielen neuen Gesichtern im Nationaldress wurde es ein hübsches Warmschießen für den Confed Cup in Russland – bei bestem Sommerwetter. Die 32 500 Fans, die gekommen waren, zeigten sich dankbar.
Und zeigten sich auch von ihrer schlechten Seite. Völlig unvermittelt gingen sie inmitten des netten Familienfestes im Nürnberger Stadion plötzlich auf einen Nationalspieler los. Auf Timo Werner. Als der Stürmer von RB Leipzig in der 55. Minute für den Gladbacher Lars Stindl eingewechselt wurde, empfingen ihn große Teile der Zuschauer mit einem Pfeifkonzert, Buh-Rufe kamen hinzu.
Vordergründig ging es um seine Schwalbe von vor über einem halben Jahr bei Leipzigs 2:1-Erfolg gegen Schalke am 3. Dezember 2016. Eine Unsportlichkeit, noch dazu im Trikot des vielen einfachen Gemütern höchst suspekten Aufsteigers aus Leipzig – eine explosive Mischung. Trotz Entschuldigung. Dennoch wird dann ein 21-Jähriger zum fortwährenden Mobbing-Opfer, eine übliche Fandynamik.
Und so verließ Werner nach seinem zweiten Länderspiel als einziger Nationalspieler den Schauplatz mit einer dicken Krawatte. Nicht weil er ohne eigenen Treffer geblieben war. Wegen der Antipathie. „Ich weiß nicht, was die Gemüter so bewegt hat. Jahrelang wurden Schwalben gemacht – und bei mir wird es so aufgebauscht, nur, weil ich bei RB spiele“, vermutete Werner, „das ist schade.“
Noch einmal darauf angesprochen wurde der Stürmer deutlicher. „Mittlerweile muss man sich wirklich fragen, was das soll, wenn man von den eigenen Fans ausgepfiffen wird. Man kann nichts machen.“ Die Tatsache nervt. Das Thema nervt. Die Nachfragen. Ob ihm die Kollegen Trost gespendet haben? „Die sagen auch, dass es eine Katastrophe ist.“ Ob es ihm wehtue? Eine rhetorische Frage. Man sah es. Seine trotzige Antwort: „Was heißt weh? Ich find’s eher frech.“
Die Mitspieler ergriffen vehement Partei für den Gepeinigten. „Das ist schade, wir spielen für Deutschland. Timo ist ein super Junge. Die Leute, die das machen, sind keine richtigen Fans“, schimpfte Emre Can. Und Jonas Hector, mit 29 Länderspielen der zweiterfahrenste im Perspektivkader, richtete: „Wenn wir mit der Nationalmannschaft unterwegs sind, hat das im Stadion nichts zu suchen.“ Zitate, die an die Causa Mario Gomez erinnern.
Früher war es der Wolfsburger, der ausgepfiffen wurde. Einfach weil er Mario Gomez war. Einfach weil es opportun und witzig war. Und weil er 2008 bei der EM gegen Österreich slapstickartig ein Tor verhinderte, anstatt es aus wenigen Zentimetern zu erzielen. Gomez hat sich gegen die Pfiffe emanzipiert, eine starke EM 2016 in Frankreich gespielt.
Werner muss noch durch dieses Stahlbad. Löw will das Talent auf seinem Weg begleiten und unterstützen. „Es gab mal eine Schwalbe, Timo hat einen Fehler gemacht, den hat er zugegeben. Aber das ist ein sehr, sehr junger Spieler“, ärgerte sich Löw und schrieb den Nörglern hinter die Löffel: „Ein Nationalspieler, der am Anfang seiner Karriere steht und in der Bundesliga 21 Tore erzielt hat, der darf nicht ausgepfiffen werden, das ist nicht in Ordnung.“
Sandro Wagner, der Dreifachtorschütze, aktuell auf der Sonnenseite, sprang seinem Sturmkollegen zur Seite: „Er ist ein unglaublich talentierter Spieler, ich habe noch nie in dem Alter einen so guten Stürmer gesehen. Es ist doch toll für uns Deutsche, dass wir so einen tollen Stürmer haben – unverständlich, dass man ihn auspfeift, was soll das? Das ist überflüssig.“
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