Die EM-Abrechnung: Jetzt schlägt Löw zurück
Der erste Auftritt des Bundestrainers seit dem Aus: Er schimpft über Kritiker, „die mich ermüden”, beendet die Leitwolf-Debatte, hält nichts von einer Hymnen-Mitsing-Pflicht – und watscht Babbel ab.
FRANKFURT Die EM hat Joachim Löw nicht abgestreift, er trägt das Shamballa-Armbändchen noch. Vor dem Turnier hatte der gesamte Kader dieses Gute-Laune-Accessoire bekommen. Die Perlen mit Hämatitkugeln baumeln weiter an seinem linken Handgelenk. Die Message, die er entschlossen und mit Wut im Bauch aussprach, soll lauten: „Unser Weg stimmt.” Verpasster EM-Titel hin oder her.
Der Bundestrainer, seit dem Rückflug aus Warschau am Tag nach dem EM-Aus gegen Italien (1:2) abgetaucht, stellte sich am Montag. Sechs Wochen hatte Löw geschwiegen, erst geurlaubt, dann analysiert. „Aufgetankt”, habe er vor dem siebten Jahr als Cheftrainer, das mit dem umstrittenen Test am Mittwoch gegen Argentinien (20.45 Uhr, ZDF live) beginnt. Und das mit einem neuen Gefühl, das den Weg zur WM 2014 in Brasilien begleiten wird. Denn eins wurde bei seiner 23-minütigen Wutrede klar: Die Zeit der Leichtigkeit ist vorbei.
Es hat sich was aufgestaut. Nun kam Löws Abrechnung und Rechtfertigung. „Wir haben vor dem Italien-Spiel 15 Pflichtspiele in Folge gewonnen und einen Weltrekord aufgestellt. Wir haben ein langfristiges Konzept, daran werden wir festhalten”, sagte er. Schluss machen wollte der 52-Jährige mit Vorwürfen und „Teilen der Kritik, die ich nicht für zielführend halte und die mich ermüden”. Die AZ erklärt, worum es geht und was Löw zur Verteidigung sagte.
DIE ITALIEN–TAKTIK
Löw: „Ich übernehme die Verantwortung. Mir war bewusst, dass die Wechsel als Grund herangezogen werden könnten. Aber der Vorwurf, wir hätten uns nach dem Gegner gerichtet, ist falsch.” Richtig ist: Löw hatte mit der Aufstellung (Kroos! Gomez und Podolski statt Klose und Reus) und der Italien-orientierten Taktik selbst sein Team verwundert.
DIE LEITWOLF–DEBATTE
Löw: „Diese Diskussion werde ich nicht mehr führen. Wir haben keine flachen Hierarchien. Die Spieler sind dem Führungsanspruch voll und ganz gerecht geworden. Wir haben Siegertypen!” Fakt ist: Die Kapitäne Lahm und Schweinsteiger brauchen Titel, um auch ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Womit er jedoch daneben lag: "Mit diesem Führungsstil haben wir in den vergangenen Jahren fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt." Welche Titel bitte genau?
DER HYMNENSTREIT
Löw: „Der Vorwurf an die Spieler mit Migrationshintergrund ist fatal. Der impliziert, dass sie keine guten Deutschen sind. Diesen Vorwurf finde ich fatal. Die Nationalhymne mitzusingen, ist schön. Das ist aber noch lange kein Beleg für die Qualität und den Willen, für Deutschland zu spielen oder nicht zu kämpfen.” Korrekt. Punkt für Löw.
VERWÖHNTE SPIELER
Löw: „Auch die Spanier haben einen Koch, fahren nicht immer mit dem Bus und haben andere Voraussetzungen geschaffen. Wir erwarten eine Top-Performance, müssen die perfekten Voraussetzungen bieten.” Recht hat er. Warum sollen Verzicht und Bescheidenheit zu Titeln führen?
SCHWEINSTEIGERS EINSATZ
Der Bayern-Profi hatte sich angeschlagen durch die EM gequält. Löw: „Ich habe während des Turniers oft mit ihm gesprochen. Ich habe meine Entscheidung nicht bereut.” Schwierig: Klarer Fall von hätte, wenn und aber...
DIE BABBEL-KRITIK
Löw zum Vorwurf von Hoffenheims Coach Markus Babbel, er hätte die Ausbootung von Neuer-Ersatz Tim Wiese nicht persönlich vorgenommen: „Wie, wann und wo wir das machen, ist unsere Entscheidung. Ich finde, das ist eine Respektlosigkeit von Babbel gegenüber Andreas Köpke und Hansi Flick. Niemand hat gesagt, dass es bei Wiese ein Ausschluss für alle Zeiten ist, das hätte ich übernehmen müssen.” Musste mal gesagt werden. Löw hat sich positioniert.