"Die Deutschen haben das Verlieren gelernt"

EM-Gespräch (20): Dieter Hildebrandt kennt den Grund für das Halbfinal-Aus: „Mutti hat ihre Kinder im Stich gelassen”.
Matthias Kerber |
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EM-Gespräch (20): Dieter Hildebrandt kennt den Grund für das Halbfinal-Aus: „Mutti hat ihre Kinder im Stich gelassen”


AZ: Herr Hildebrandt, Deutschland ist im EM-Halbfinale an Angstgegner Italien gescheitert. Wovor haben die deutschen Kicker da eigentlich Angst?

DIETER HILDEBRANDT: Ich glaube, da reicht schon das Wort: Italien. Dabei wäre es doch so einfach gewesen!

Ach, wirklich?

Ja, alle Experten dieser Welt haben doch im Vorfeld erklärt, wie man Italien schlagen kann. Also entweder können die Spieler alle nicht lesen oder Löw hat es verboten. Man hätte nur Balotelli reizen müssen, dann wäre der nach einer Viertelstunde vom Platz geflogen. Das hätte uns auch gereicht, denn das 1:0 hat der in der 20ten Minute erzielt. Die Taktik ist wohl daran gescheitert, dass keiner im deutschen Team italienisch kann. Bei der WM 2006 hat es der Materazzi vorgemacht, wie man einen Spieler zur Weißglut bringt. Das wäre bei Balotelli noch leichter gewesen als bei Zidane. Aber es hatte wohl noch andere Gründe.

Wir sind ganz Ohr...

Nun, für die Italiener ist Fußball etwas Heiliges, deswegen hat ihnen mit Sicherheit der liebe Gott geholfen. So ein Tor wie das 2:0, das macht kein Mensch, das ist göttliches Gefüge. Da stellt sich, bei der Vorgeschichte der Italiener mit ihren Wettskandalen, die Frage, ob man auch den Fußballgott schmieren kann. Dann sind die Italiener unschlagbar. Aber mir fällt noch ein Grund für die Niederlage ein.

Das wird ja eine messerscharfe Analyse.

Das Bayern-Gen. Der absolut überall vorhandene Bayern-Hass war mit schuld. Es waren ja nur Bayern in der Mannschaft. Da standen sieben Bayern auf dem Platz und die Dortmunder saßen auf der Bank und hätten das Spiel gewinnen können. Aber sie durften ja nicht. Löws Wechselspiele sollten den Gegner verwirren, sie haben aber wohl die eigenen Spieler verwirrt.

Das „Mia san mia” der Bayern, es stand mal für Siegeswillen – was ist dieses Mia denn nach dem Triple-Vize für den Verein und die Niederlage der Bayern-Spiel nun?

Klare Frage, klare Antwort: Das Mia ist der Dativ.

Danke der Aufklärung.

Gerne, aber wo wir bei Aufklärung sind, es gibt noch einen weiteren Grund für das Aus.

Was tiefenpsychologisches?

Ja, Mutti war nicht da.

Bundeskanzlerin Angela Merkel?

Ja. Ein kleiner Ansatz zum Jubler von ihr, dann hätten unsere Jungs schon aus lauter Begeisterung darüber ein Tor geschossen. Die Mutter der Nation hat ihre Kinder im Stich gelassen. Die mussten immer nur den Platini sehen, der zu allem und jedem grinst. Die Steigerung von Platt heißt übrigens platter, Platini.

Oder Blatter, Platini!

Das würde ich unterschreiben.

In Italien gibt es jetzt ein neues Wort für Doppelpack – Bunga-Bunga.

Das ist eine Gemeinheit von Ihnen, auf diese Hauptschlagader von Italien zu verweisen. Sehr gemein, aber ich kann mich darüber sehr amüsieren.

Früher haben die Deutschen nicht schön gespielt, aber gewonnen. Reichen die deutschen Tugenden nicht mehr?

Ich würde das umgekehrt sagen: Die Deutschen können siegen, weil sie jetzt das Verlieren gelernt haben. Wir können das jetzt wunderbar. Die anderen sollten sich da uns zum Vorbild nehmen, aber die sind ja sowas von rücksichtslos. Ich bin sicher, der Tag wird kommen, dass Deutschland Italien schlägt. Und zu der Mannschaft: Sie ist mir hochsympathisch. Sie spielt so, wie wir uns das jahrzehntelang gewünscht haben. Technisch gut, nicht mehr so wuchtig, kein Rumpelfußball. Ich bin mit dem Spiel der Deutschen zufrieden. Auch wenn sie verlieren. Vier Mal hintereinander bei großen Turnieren im Halbfinale, das ist okay. Bei mir hängt die deutsche Flagge nicht auf Halbmast.

Sie sind Kabarettist und sicher deutschlandkritisch, wie stehen Sie zu dem Spaß-Nationalismus, der bei den Public Viewings zelebriert wird?

Ich finde das eine Art positive Demo. Meinetwegen sollen die Fahnen und Schals tragen. Damit habe ich kein Problem.

Hatten Sie ein Problem mit der Stahlhelm-Äußerung von Hansi Flick?

Ich war selber Stahlhelmträger und habe das Ding wie die Pest gehasst. Ich hasse alle Stahlhelme, alle Uniformen, aber die Vorstellung, dass einer so einen harten Schuss hat, dass die Spieler zum Schutz einen Stahlhelm tragen sollten, hat mich amüsiert. Genau wie die Aufregung darüber. Es gibt ganz andere Dinge, die mich aufregen. Etwa, wenn über Trennung von Sport und Politik schwadroniert wird. Das macht mich böse und zornig. Es gibt diese Trennung nicht. Damit will man nur die Verbundenheit von Politik, Sport und Geld verschleiern. Da könnte man vor Wut fast ein Gewitter bestellen, damit ein Blitz einschlägt.

Oder wie heißt es: Herr, schmeiß Hirn vom Himmel – oder Steine. Ganz egal, wichtig ist nur, dass du triffst.

Der gefällt mir noch besser. Vielleicht war die deutsche Pleite auch eine verkappte Finanzhilfe. Denn die Granden des Fußballs sind ja die verarmten Obstländer. Italien, Spanien, Portugal. Fußball ist die einzige Chance, ein bisschen Kredit zu bekomme. Vielleicht senken die Banken vor Ehrfurcht die Zinsen für die Länder, dann wären Sport und Politik endlich mal sinnvoll vereint.

Haben Sie sich eigentlich bei der EM wund gelegen?

Eine köstliche Bemerkung von Mehmet Scholl über Mario Gomez. Das hat mir sehr gut gefallen. Fußballer unter sich reden doch ganz anders, warum sollen wir durch Scholl daran nicht teilhaben dürfen? Er ist der beste Kommentator, er hat Ahnung, er hat Witz.

Und der Gegenpol des ZDF mit Oliver Kahn und Katrin Müller-Hohenstein?

Das hat was mit den Geisteskräften des Veranstalters zu tun. Das ZDF muss jemand im Schrank haben, den sie nur kurz rausgelassen haben. Der hatte den Auftrag, etwas zu machen, was keiner macht. Da der früher immer an der Nordsee war und da fast ertrunken ist, kam er auf die Idee Ostsee, weil die ruhiger ist. Ich war erstaunt, dass die nicht vergessen haben, dass es da Ebbe und Flut gibt. Wenn das alles überspült worden wäre, das wäre endlich Unterhaltung gewesen. So war das Highlight, wenn im Hintergrund ein Schiff vorbeifuhr. Wobei, das war fast zu viel Dynamik. Als Fazit kann man nur sagen: 800 Kilometer vom Tatort entfernt zu sein, das ist bestbezahlter Irrsinn. Ein besseres Alibi, dass man nicht dabei war, kann man nicht haben.

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