DFB-Elf vor dem Neuanfang: Weltmeister-Vorbild Frankreich?
Auch am Montag befand sich Frankreich natürlich weiter im Ausnahmezustand. Nach dem Nationalfeiertag am Samstag und dem Finalsieg (4:2 gegen Kroatien) bei der WM am Sonntag galt es, den neuen Helden der Grande Nation einen würdigen Empfang in der Heimat zu bereiten.
Am Nachmittag landete die Équipe Tricolore am Flughafen Charles de Gaulle in Paris. Unter dem Jubel von hunderttausenden Menschen führte ihr Triumphzug über die Champs-Élysées in den Élyséepalast zu ihrem größten Fan: Emmanuel Macron. Der französische Staatspräsident hatte sich bereits am Sonntag im Luschniki-Stadion in Moskau auf der Ehrentribüne völlig gehen lassen und Frankreichs zweiten WM-Titel nach 1998 in ausgelassener Siegerpose gefeiert.
Auch die Spieler waren in ihrer Euphorie kaum zu bremsen gewesen, überfielen ihren Weltmeister-Trainer schon auf der Pressekonferenz mit Champagner-Duschen. "Die sind komplett verrückt. Ich entschuldige mich. Aber sie sind jung und glücklich", sagte Didier Deschamps. Seine Entschuldigung klang dabei fast wie eine Drohung. Denn seine Weltmeistermannschaft war nach Nigeria mit durchschnittlich 26,1 Jahren das zweitjüngste Team des Turniers und scheint auch in Zukunft unberechenbar und zu nahezu allem fähig.
Deschamps hatte Mut zu harten Entscheidungen - im Gegensatz zu Löw
"Das könnte der Beginn einer großen französischen Ära sein", sagte Frankreich-Experte Gernot Rohr der AZ: "Zumal es noch gute andere Spieler gibt, wie zum Beispiel Rabiot oder Benzema, die man nicht mitgenommen hat." Auch Kingsley Coman vom FC Bayern wurde nicht berücksichtigt, obwohl er nach seinem Syndesmoseriss theoretisch wieder fit für die WM gewesen wäre. Deschamps hatte etwa im Gegensatz zu Bundestrainer Joachim Löw keine Angst vor harten Entscheidungen, weder bei seiner Kaderauswahl, noch bei seinen Aufstellungen und Taktiken während des Turniers. Er zog offenbar die richtigen Lehren aus dem verlorenen Finale bei der Heim-EM 2016 gegen Portugal.
Dem WM-Erfolg ordnete Deschamps alles andere unter, brachte auch Individualisten wie Paul Pogba bei, was dafür zu tun ist – und seine Stars fügten sich. Er verordnete seiner Mannschaft, die mit Antoine Griezmann, dem überragenden und erst 19 Jahre alten Kylian Mbappé und Co. über das wohl größte Offensivtalent verfügte, eine defensive Spielanlage. Während die Ballbesitzfetischisten aus Deutschland und Spanien krachend scheiterten, erhielt er mit dem WM-Triumph die größtmögliche Bestätigung für diese Maßnahme.
Oliver Bierhoff verantwortlich für das deutsche Debakel?
Lothar Matthäus glaubt trotzdem nicht an eine zukünftige französische Dominanz. "Die Mannschaft hat keinen Stil geprägt oder mit faszinierendem Fußball überzeugt und die Gegner nicht an die Wand gespielt", sagte der Rekordnationalspieler der "Bild". Auch im Finale "war nicht alles richtig", gestand Deschamps, ergänzte aber: "Frankreich ist Weltmeister, das heißt, wir haben Dinge besser gemacht als die anderen. Diese Spieler sind Krieger."
Die französische Nationalelf scheint nun vor einer ähnlich verheißungsvollen Zukunft zu stehen, in der sich die deutsche nach dem WM-Titel 2014 wähnte. Umso interessanter wird nun das Rendezvous des entthronten Weltmeisters mit seinem Nachfolger in München, zu dem es am 6. September beim ersten Länderspiel nach dem Vorrundenaus des DFB-Teams kommen wird.
Einen Hauptverantwortlichen für das deutsche Debakel sieht Ex-Nationalspieler Thomas Berthold in DFB-Direktor Oliver Bierhoff. "Die Entfremdung der Nationalmannschaft von Fans und Medien ist auf ihn zurückzuführen. Der Manager muss weg!", sagte der Weltmeister von 1990 dem "Kicker". "Wir wollen, dass Deutschland wieder erfolgreich Fußball spielt. Da sollten wir alle nach Lösungen suchen", sagte Weltmeister-Kapitän Philipp Lahm, der in Moskau den WM-Pokal übergab, in der ARD. Der 34-Jährige schloss Löw in seine Kritik ausdrücklich mit ein. Jetzt müsse "an mehreren großen Schrauben" gedreht werden, Lösungen seien "überall" zu finden. Vielleicht trägt eine ja sogar seinen Namen.
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