DFB-Elf in Russland angekommen: Der Charme von Watutinki

Moskau - Als die deutschen Nationalspieler um 11.30 Uhr am Mittwochvormittag den Rasen betreten, wird die Musik aufgedreht. Fröhlich scheppert es aus den Boxen auf dem Trainingsgelände des russischen Erstligisten ZSKA Moskau, einst der Klub der Militärs.
ZSKA steht für: zentraler Sportklub der Armee. Das Übungsgelände ist von hohen, in blau gestrichenen Zäunen umgeben, Sicherheitskräfte und Soldaten sichern die Anlage unweit des Flusses Desna. Alle(s) streng bewacht! An den Eingangstoren müssen selbst die Kinder ihre Taschen öffnen, auch ihre Butterbrotdosen. Safety first. Es ist WM.
500 geladene Zuschauer bei der DFB-Elf
"Oh, that's the way, uh-huh uh-huh I like it, uh-huh, uh-huh" - "KC and the Sunshine Band" beschallt die Besucher. Schöner Kontrast, schöner Auftakt. 500 Zuschauer waren eingeladen, darunter etwa 100 Kinder und Jugendliche der Deutschen Schule in Moskau, ausgestattet mit Fähnchen und ohne Ressentiments gegen Ilkay Gündogan und Mesut Özil.
"Hier herrscht der Charme einer guten, schönen Sportschule. Wir haben hier alle Möglichkeiten, die wir brauchen. Ein sehr, sehr gutes Trainingszentrum und kurze Anfahrtswege", sagt Löw: "Hier können wir uns in aller Ruhe auf die Spiele vorbereiten. Das sind unsere Gegebenheiten - und die nehmen wir an. Hier soll es ruhig sein, keine Hektik und kein Chaos herrschen."
Löw lässt erstmal den Rasenmäher rausholen
Etwas Verbesserungsbedarf gibt es aber. Julian Draxler ist beim Training umgeknickt, kann aber Donnerstag schon wieder mitmachen. "Unser Rasen ist vielleicht ein paar Zentimeter zu hoch. Der Platz war noch etwas stumpf, insgesamt aber sehr gut und eben. Das werden wir beheben", sagt Löw.
Als Gündogan, wie Özil in der Kritik wegen seines Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan , beim Trainingsspiel Acht gegen Acht das erste Tor erzielt, bekommt der 27-Jährige Beifall. Keine Pfiffe wie beim letzten WM-Test in Leverkusen, sondern fröhliches Gekreische.
Die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw absolvierte zunächst ein Aufwärmprogramm im Fitnesszelt, zeigte sich dann den Fans, am Ende der Einheit gab's viele, viele Selfies und Autogramme. Einige Spieler trugen weiße Shirts, auf denen jeweils ein Hashtag in den deutschen und russischen Landesfarben gedruckt wurde, dazu das Motto "ZSMMN", das schon im Trainingslager in Südtirol verwendet wurde, und in kyrillischer Schrift: Die Mannschaft, der Team-Claim.
Alle 23 Spieler trainierten mit, auch Özil, der zuletzt wegen einer Knieprellung gefehlt hatte und beim 2:1 im Testspiel gegen Saudi-Arabien geschont wurde. Damit hat für den Weltmeister die finale Vorbereitung auf das erste Spiel am Sonntag gegen Mexiko (17 Uhr, MESZ) rundum positiv begonnen.
Schlichtes Watutinki Hotel Spa Complex statt mondänem Campo Bahia
Am Dienstagmittag hatte der DFB-Tross sein Quartier in Watutinki, dem 11. 000-Einwohner-Örtchen 40 Kilometer südwestlich von Moskau bezogen. Das neu erbaute "Watutinki Hotel Spa Complex", die Wahlheimat der Nationalelf für bestenfalls fünf Wochen, liegt etwas versteckt im 95 Hektar großen Wald. Wenigstens etwas Grün, drumherum farblose Betonklötze, trist, öde. An das Campo Bahia, das tolle Quartier bei der WM 2014, erinnert hier nix.
Die Bleibe dort aufzuschlagen - eine Vernunftentscheidung. Man residiert nicht im Ferienort in Sotschi am Schwarzen Meer wie beim siegreichen Confed-Cup 2017. Nix Palmen, Strand. Kein Meer, kein Baden. Kein subtropisches Klima, sondern Vorstadtatmosphäre. Sinne schärfen für das Wesentliche - so die Intention der Bosse.
Teammanager Oliver Bierhoff: "Kurze Wege bei den täglichen Fahrten zum Training, zum Flughafen und zum Luschniki-Stadion, in dem wir - das wünschen wir uns alle - am liebsten dreimal spielen." Zum Auftaktspiel am Sonntag gegen Mexiko sitzen die DFB-Kicker nur rund eine halbe Stunde im Bus, 35 Kilometer sind's vom Hotel. Beim DFB hofft man, "auch an den letzten beiden entscheidenden und wichtigsten Spielen nicht umziehen und reisen zu müssen".
Im Halbfinale und Finale - der Plan geht gemäß dem Turnierbaum aber nur auf, wenn man Gruppensieger in der Vorrunde wird. Logistik kommt eben vor Romantik. Denn Verknappung der Reisezeit ist das A und O in einem Gastgeberland, das auf zwei Kontinenten liegt und dessen Stadien in vier Zeitzonen. Die Reise hat begonnen.