"Deutschland - Holland? Eine Art Ersatzkrieg"

Kaum einer kennt die Geschichte der deutsch-holländischen Fußballrivalität so gut wie Ente Lippens. Hier erinnert er sich.
Thomas Becker |
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EM 1988 in Deutschland: Niederlage gegen Holland.
Rauchensteiner EM 1988 in Deutschland: Niederlage gegen Holland.

Kaum einer kenntdie Geschichte der deutsch-holländischen Fußballrivalität so gut wie Ente Lippens. Hier erinnert er sich.

AZ: Hallo Herr Lippens, Länderspiel Holland gegen Deutschland – wem drücken Sie die Daumen?


WILLI LIPPENS: Zur Zeit tendiere ich mehr zu Deutschland. Ich hatte ja nicht so eine riesige Karriere in Holland.


Sie sind in Bedburg-Hau bei Kleve geboren, Ihr Vater in der Nähe von Maastricht. Er fand in Kleve Arbeit, wurde aber im Krieg von Deutschen in einem Keller mehrfach mit Knüppeln zusammengeschlagen, weil er sich nicht freiwillig fürs Militär meldete.


Ich war nicht so akzeptiert als Holländer, war von meinem Vater her immer etwas vorbelastet. Er sagte: ’Wenn du für die Deutschen spielst, brauchst du nicht mehr nach Hause zu kommen.’ Ich selbst hatte etwas anders gefühlt, aber um damals den häuslichen Frieden nicht zu gefährden, habe ich es dann so gemacht, wie mein Vater wollte.

Bei Ihrem einzigen Länderspiel für Holland, 1971 beim 6:0 gegen Luxemburg, haben Sie kaum einen Ball bekommen, wurden geschnitten von Ihren Mitspielern.


Mein Leben hat sich eben hier abgespielt. Ich bin doch mehr Deutscher. Ich hab zwar nur ein Länderspiel gemacht, weil man mich nicht so akzeptiert hat als Holländer. Aber auf der anderen Seite hatte das auch etwas Gutes.


Inwiefern?


Wenn ich 1974 gespielt hätte, wäre ich ja sonst der einzige Weltmeister in Deutschland gewesen. Mit mir hätte Holland den Titel geholt.


Sie wurden also nur zu diesem einen Länderspiel mit Cruyff & Co. eingeladen?


Ja, danach hätte ich nochmal in Split gegen das damalige Jugoslawien spielen sollen, war aber verletzt. Danach war es vorbei, da habe ich nie wieder was gehört. Nun gut, ein Länderspiel, ein Tor – egal.


Ist die Rivalität zwischen den Nachbarn noch so stark?


Ich glaube, dass dieser Hass, der nach dem Krieg noch da war und auch in meiner Zeit noch tief drin saß, dass es den so nicht mehr gibt. Es ist zwar immer noch eine besondere Ehre für die Holländer, das große Deutschland zu schlagen. Das ist vielleicht auch immer noch eine gewisse Ersatzbefriedigung für den Krieg. Aber ich denke, dass wir doch alle mehr und mehr Europäer werden.


Die Länderspielgeschichte beider Länder hält einige durchaus unschöne Spiele bereit...


Ja, aber das passt nicht mehr in die heutige Zeit. Man sollte sich über Siege natürlich Freude, meinetwegen auch mit ein bisschen Häme. Davon lebt der Fußball auch, dass die Fans ihre Erfolge ausleben können, gerade die Nachbarn zu besiegen. Das ist eine schöne Geschichte. Aber es muss alles im Rahmen bleiben.


Also nicht so wie damals Ronald Koeman bei der EM 1988 in Hamburg, der sich nach dem Trikottausch mit dem DFB-Dress symbolisch den Hintern abwischte?


Nein, so was akzeptiere ich gar nicht.


Welches war das erste Länderspiel zwischen Deutschland und Holland, an das Sie sich erinnern können?


Da spielte bei Deutschland noch der Toni Turek im Tor, die Generation von Fritz Walter. Aber meistens haben die Holländer ja eh verloren.


1959 sogar mit 7:0, drei Tore von Uwe Seeler. Da saß der Vater wohl zähneknirschend vor der Glotze.


Stimmt, da kann ich mich noch dran erinnern. Da hat er drunter gelitten, ich nicht so sehr.


Mussten Sie als Kind mit dem Vater die holländischen Länderspiele schauen?


Nee, wir wohnten ja in Kleve und kriegten damals kein holländisches Fernsehen. Von daher bin ich schon mit Deutschland groß geworden. Aber wir hielten immer der Mannschaft die Daumen, die gegen Deutschland spielte. Mein Vater hatte halt den Krieg mitgemacht, ich hab ihm das auch verziehen - das hat mich halt 40 Länderspiele gekostet. Aber das ist nicht so schlimm. Meine Generation kann das etwas nüchterner und neutraler sehen. Die ganze Entwicklung ist gut. Das ist eine gesunde Rivalität, da gibt es hier und da auch mal eine Ohrfeige, aber es darf nicht ausarten.


Wie haben Sie die großen Duelle in Erinnerung: 1974 das WM-Finale, 1988 das Duell Kohler-Van Basten, 1990 Rijkards Spuck-Attacke gegen Rudi Völler?


Das war immer geprägt von einer scharfen Rivalität. Die Spuckerei und das ganze Theater - es war schon immer was Besonderes, wenn beide Teams aufeinander trafen. Für die Holländer, wie gesagt, so eine Art Ersatz-Krieg. Im wirklichen Leben hat man ja nie eine Chance gehabt.


Sie besitzen seit vielen Jahren in Bottrop ein Restaurant mit dem schönen Namen „Mitten im Pott” – schauen Sie dort das Spiel an?


Auf jeden Fall! Zu Länderspielen bauen wir Beamer und Leinwand auf, aber ohne Ton. Damit die gestraften Ehemänner, die mit der Frau essen müssen, wenigstens die Bilder verfolgen können.


Soso. Gehen Sie selbst noch ins Stadion?


Bei Rot-Weiß Essen bin ich sporadisch, ab und an auch in Dortmund, wo ich vier Jahre gespielt haben.


Fehlt der Bundesliga eigentlich einer wie Louis van Gaal?


Der ist natürlich durch seine Kanten und Extravaganzen eine markante Type, die der Liga sicherlich gut getan hat. Das ist schon schade. Es gibt so viele glatte Typen. Es müsste mehr Jungs mit Ecken und Kanten geben.


Mit van Gaal hätten Sie als Spieler Ihren Spaß gehabt.


Das kann schon sein. Das sind ja Typen, die wollen ja hier und da auch ein bisschen verladen werden – und dann müssen sie damit auch fertig werden.


Herr Lippens, jetzt müssen Sie uns nur noch verraten, wie das Spiel ausgeht!


Holland ist schwer zu schlagen, das letzte Spiel der Deutschen war wegen der Experimentierfreude nicht optimal - deswegen glaube ich an ein Unentschieden.

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