Deutschland gegen England: Es geht um die Flick-Euphorie

Die erste Niederlage unter dem neuen Bundestrainer ist ein gehöriger WM-Dämpfer: "Das hat uns die Augen geöffnet". Umso wichtiger wird nun der Klassiker gegen England als finaler Stimmungstest.
von  Patrick Strasser
Was ist nur los beim DFB? Hansi Flick hofft nun auf die Wende in London.
Was ist nur los beim DFB? Hansi Flick hofft nun auf die Wende in London. © picture alliance/dpa

Was der Nationalelf-Tross durch die nachmittägliche Anreise nach London per Privatflug am Sonntag verpasst hat: einen strahlend schönen Herbsttag in der britischen Hauptstadt. Was das DFB-Team im vergangenen Sommer im Wembleystadion verpasst hat: das EM-Viertelfinale.

Mit dem 0:2 war die Ära von Bundestrainer Joachim Löw beendet, wenige Wochen später übernahm Hansi Flick, sein ehemaliger Assistent. Mit ihm kamen neuer Input, frischer Schwung, ja sogar Euphorie und ab September 2021 sieben Erfolge in Serie in der WM-Qualifikation. 31:2 Tore, die DFB-Elf war wieder en vogue.

Prestige-Spiel gegen abgestiegene Briten

Dieses Jahr gelangen bis dato erst zwei Erfolge in sieben Spielen, in der Nations League verpasste man durch das 0:1 am Freitag in Leipzig gegen Außenseiter Ungarn das Final-4-Turnier im nächsten Juni.

Im abschließenden Nations-League-Spiel am Montagabend (20.45 Uhr, RTL live) gegen die bereits in die Liga B abgestiegenen Briten geht es nun nur noch ums Prestige. Allen voran aber darum, eine Trendwende zu erzielen, einen Stimmungsaufheller zu setzen beim letzten Auftritt der DFB-Elf vor der Bekanntgabe des Kaders für Katar. Zugleich ist der ewige Klassiker gegen England der letzte ernsthafte WM-Test, die Partie während des Kurz-Trainingslagers im Oman eine Woche vor Turnierbeginn eher ein lockerer Akklimatisierungskick.

"Wir wollen Wiedergutmachung, zu unserem Spiel finden und natürlich Vertrauen sammeln", sagte DFB-Direktor Oliver Bierhoff. Selbst der Golden-Goal-Held des EM-Finals von 1996 gegen Tschechien meinte zur Rückkehr an den Ort seiner Sternstunde: "Leider ist die jüngste Erinnerung an die EM im letzten Jahr nicht gut. Die würden wir gerne vergessen machen."

Hansi Flick: "Wenig Mut, wenig Vertrauen, wenig Dynamik, wenig Intensität"

Beide Nationen brauchen ein sportliches Ausrufezeichen Richtung WM. Nach dem 0:1 in Italien, durch das die Auswahl von Trainer Gareth Southgate seit fünf Partien sieglos ist (ein erzieltes Tor!), schrieb "The Times", das Team der "Three Lions" habe "one game to fix it". Im Duell der Frustrierten kann nur einer erfolgreich Reparatur-Arbeiten durchführen. "Für beide Mannschaften kann das nach den Niederlagen wichtig sein", betonte Bierhoff.

In Leipzig kassierte man bei der ersten von zwei Generalproben für das Auftaktspiel der WM in Katar gegen Japan (23. November) die erste Niederlage unter Flick – viel schlimmer wiegt: Die Mannschaft hinterließ zwei Monate vor Turnierbeginn einen schlechten Eindruck. "Wenig Mut, wenig Vertrauen, wenig Dynamik, wenig Intensität – und viele Fehler", so Flick. Trotzig sagte der Bundestrainer: "Die Niederlage wirft uns nicht um. Wir wissen, worum es geht." Der 57-Jährige gestand: "Man verliert nie gerne. Aber vielleicht kam die Niederlage zur rechten Zeit – besser als bei der WM." Er hofft auf das Gute im Schlechten, im Sinne von: "Das hat uns die Augen geöffnet."

Die Flick-Euphorie ist verflogen

Dennoch: Die anfängliche Aufbruchstimmung, die Flick-Euphorie, sie ist verflogen im Herbst 2022, zum ungünstigsten Zeitpunkt. In den letzten sechs Länderspielen erzielte die Nationalelf lediglich beim 5:2 gegen Italien – ein positiver Ausrutscher? – mehr als einen Treffer, blieb gegen Ungarn erstmals torlos.

Das zunächst zurückgewonnene Vertrauen der Fans muss erneut erspielt werden, die Spaßmacher von 2021 pressen die Lippen aufeinander.

Gute-Laune-Minister Thomas Müller vermutete: "Vielleicht hat man gemerkt, dass bei vielen die momentane Phase im Verein nicht die leichteste ist." Der Bayern-Profi meinte sich und seine in der Liga sieglosen Kollegen Serge Gnabry, Leroy Sané und Joshua Kimmich, die allesamt weit außer Form sind.

In Leipzig hatte Flick sich selbst angeklagt. Der Versuch, Jonas Hofmann (rechts) und David Raum (links) als offensive Außenverteidiger in einer Viererkette agieren zu lassen, ging daneben: "Ich wollte etwas ausprobieren, das muss ich auf meine Kappe nehmen", sagte Flick, "es hat nicht funktioniert, vielleicht war es zu viel der Umstellung."

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