„Der Pokal ist der Gipfel“
Reinhold Messner zu Gast beim DFB-Team – als Motivator. Der Südtiroler, der bei der WM zu Deutschland halten wird, sucht nach Parallelen zwischen Spitzenfußball und Extrembergsteigerei.
AZ: Herr Messner, vor der WM 2006 war es Michael Schumacher, der die Nationalelf in ihrem letzten Trainingslager vor Turnierbeginn besucht hat – diesmal hat Teammanager Oliver Bierhoff auch Sie eingeladen. Was konnten Sie den Jungs bei Ihrer Ansprache vermitteln?
REINHOLD MESSNER: Es war ein kurzer Besuch über Mittag, aber sehr interessant für mich – und ich hoffe, auch für die Spieler. Ich halte Joachim Löw für einen sehr bescheidenen, charmanten Menschen und feinfühligen Psychologen.
Er ist Hobby-Bergsteiger. Obwohl: Es gehört schon mehr dazu, den Kilimandscharo zu besteigen, oder?
Kein sehr schwerer Berg, eher was für Einsteiger. Aber immerhin: Wer das schafft, hat ganz viel mentale Kraft. Und die braucht man, um etwas Großes zu erreichen, egal was.
Wie war Ihr Eindruck von den Spielern? Sind sie der Expedition Südafrika gewachsen?
Ich spüre, wenn man mit den Spielern redet und sie beobachtet: Der Druck, der auf ihnen lastet, ist enorm.
Woran machen Sie das fest, was meinen Sie genau?
In Deutschland ist die Mentalität doch so: Ob als Bürger in jedem denkbaren Beruf und speziell als Fußballer, der sein Land vertritt, darf man sich nicht den geringsten Schnitzer erlauben. Einem Südländer wird dagegen ein Fehler eher verziehen und noch dazu mit einem Augenzwinkern kommentiert – nach dem Motto: Seht her, das könnte uns auch passieren. Das Problem ist: In Deutschland weiß es jeder besser, weil jeder in der Schule mal Fußball gespielt oder ein bisschen rumgebolzt hat.
Sie doch aber auch, oder?
Klar! Wir haben in Brixen auf unserem Bolzplatz, der nur ein Viertel der Größe eines normalen Platzes hatte, ein wenig herumgedribbelt. Auch als ich in Bozen in der Oberschule war, habe ich gespielt. Noch heute treffen wir uns mit einem Großteil der Familie einmal im Sommer auf einer recht flachen Alm. Da ist einer meiner Brüder dabei, der jetzt Arzt ist, all die Kinder. Wir tollen alle zusammen herum und haben Spaß.
Sind Sie denn Fußballfan?
Ich kann mich sogar noch an die WM 1954 erinnern – so alt bin ich schon (lacht). Da war ich natürlich noch ein Knirps. Damals war Helmut Rahn mein großer Star. Bei der WM 1974 hatte ich einen persönlichen Bezug, weil ich Beckenbauer, Netzer und Breitner persönlich kannte. Da hing ich vorm Fernseher und habe mitgefiebert. Aber diese Mannschaft ist ja am Ende des Turniers geschwebt mit dem Genie Beckenbauer als Anführer. Das war ja ein Magie-Rückfluss, der da stattfand.
Fußballer werden von Tausenden im Stadion, von Millionen am TV beobachtet. Bergsteiger sind eher die einsamen Abenteurer. Gibt es überhaupt Gemeinsamkeiten?
Wenige. Für uns sind die Berge die Arena, wir wollen dann zurück in die Zivilisation. Fußballer spielen vor Massen, sie tragen dich, wenn du gut bist und bestrafen dich gnadenlos, wenn du versagst. Und dennoch gibt es Parallelen.
Und welche, bitte?
Bei einer Expedition bricht man ja auch in der Gruppe auf. Wenn man im Gebirge ist bei widrigen Bedingungen – Nebel, Schnee, Lawinengefahr – dann ist es wichtig, nicht viel reden zu müssen, ohne Absprachen auszukommen. Da genügt ein Nicken, ein Blick und der andere weiß Bescheid. Auch die Spieler müssen sich auf dem Platz blind verstehen, sich Fehler verzeihen.
Was haben Sie Löw und der Mannschaft für die WM als Motivationshilfe mitgeben können?
Sie müssen an ihr Ziel glauben. Der Gipfel ist der WM-Pokal, das kann man visualisieren. Sie müssen mutig sein, frech! Etwas wagen, kreativ sein! Jede Aktion, jeder Pass ist eine Fehler-Irrtum-Situation. Wichtig ist auch: Sie dürfen jetzt nichts anderes mehr im Kopf haben als die WM. Sie müssen bei der Sache sein.
Sie sind Südtiroler. Wem drücken Sie die Daumen bei der WM?
Ich bin Europäer – natürlich italienischer Staatsbürger, aber ich kenne die italienischen Spieler nicht. Mein Herz hängt an den Deutschen, da ich sie jetzt kennengelernt habe.
Interview: Patrick Strasser