Der nette Philipp – ist er hart genug?

Vom Talent aus Gern zum wichtigsten deutschen Führungsspieler. Noch mehr Verantwortung für einen, dessen Horizont nicht an der Außenlinie des Fußballplatzes endet
Früher Schluss machen, Feierabend haben, dass ist endgültig passé. Verantwortung zu haben kostet Zeit. Und Nerven, klar. Auch da muss Philipp Lahm nun eine ordentliche Portion im Akku haben. Es steht schließlich eine WM an.
Sicher, der Job als Bäckermeister hätte auch beides gekostet. Die halbe Nachtruhe und Nerven. Polizist, Lokomotivführer oder auch Astronaut. Was Kinder alles so werden wollen. Lahm wollte Bäcker werden. Weil er dann mit der Arbeit so früh fertig wäre und am Abend noch Jugendmannschaften trainieren könne. So seine Vorstellung.
Es kam anders. Nun ist Lahm Deutscher Meister, vier Mal schon. Und ab Freitag, wenn es Bundestrainer Joachim Löw offiziell macht, WM-Kapitän, als Vertreter des verletzten Michael Ballack. Jetzt kann er sich auch um eine Mannschaft kümmern, die Nationalmannschaft. Lahm ist erst 26 Jahre alt.
DFB-Kapitän ist der nächste Schritt in einer geradlinigen Karriere. Geboren in München, erste Schritte in Gern, der Wechsel ins Internat der Bayern-Jugend, dann nach Stuttgart für zwei Jahre. Zurück zu Bayern kam er schon als Nationalspieler. Rechte Seite, linke Seite, das war Lahm egal. Er machte nur eins: kaum Fehler. Titel hier, Titel da, die erste EM, die WM 2006, das Sommermärchen-Eröffnungstor, ein Angebot vom FC Barcelona, die Metamorphose vom Talent zur Führungsspieler-tauglichen Stammkraft. Manchmal Aushilfskapitän beim FC Bayern, auch schon zwei Mal in der Nationalelf - und nun der Boss der wichtigsten Mannschaft des Landes beim wichtigsten Turnier.
„Ich hatte mal 'ne Cowboyphase, und ich hatte mal 'ne Indianerphase", sagte Lahm einmal. Nun ist er Häuptling.
Aber kann er das? Er, der kleine Philipp, möchten nun manche sagen. Dieser Kerl mit der netten Bubi-Frisur, der es gehasst hat, wenn man ihm gönnerhaft drübergestreichelt hat? Ist der Blonde mit den buschigen Augenbrauen wirklich hart genug, für eine WM, bei der die Hitze des Spiels samt all der Aufregung eine Partie in ganz komische Bahnen lenken kann? Er, der in 191 Bundesligaspielen 12 Gelbe Karten kassiert hat, und niemals Rot? Kann Lahm mit seinen 1,70 Meter dann mit einer aggressiven Ausstrahlung die Autorität der Mannschaft sein? Kann er. Was sind schon Zentimeter. Uwe Seeler war 1,69 Meter, Fritz Walter 1,72 Meter.
Bei Bayern schätzen sie ihn, weil er klare Gedanken und klare Ziele hat. Lahm ist ein Stratege. Er hat genaue Vorstellungen, einen fixen Karriere-Plan. Und auch da macht er keine Fehler. Lahm bedient die Öffentlichkeit über sein Privatleben genau dosiert. Auch da ist er Profi. „Es ist nun mal Teil meines Berufs, dass sich die Öffentlichkeit für mein Privatleben interessiert. Und da ist es auch normal, dass meine Freundin für die Leute interessant ist", sagt Lahm: „Man sollte sich allerdings immer der Verantwortung bewusst sein, dass Kinder zu einem aufsehen, deshalb finde ich es wichtig, privat und öffentlich ein anständiger Kerl zu sein." Verantwortung, ein Begriff, der schon sehr früh für einen Fußballer, zu einem seiner Leitmotive geworden ist. Lahm ist sozial engagiert wie kaum ein zweiter Sportler in Deutschland. Seine eigene Stiftung fördert benachteiligte Kinder und Jugendliche in Deutschland und Afrika. Aktiv ist Lahm für die SOS-Kinderdörfer, als Botschafter für den Welt-Aids-Tag und für die Stiftung „Bündnis für Kinder. Gegen Gewalt". Sein Horizont endet nicht an der Außenlinie.
Am 14. Juli heiratet er seine Freundin Claudia Schattenberg (25) - drei Tage nach dem WM-Finale. Klar, das hat Lahm einkalkuliert. Darauf angesprochen, meinte er: "Am 11. Juli ist das Finale, am 12. fliegen wir zurück, am 13. treffen wir letzte Vorbereitungen - passt doch." Danach geht es für 12 Tage auf die Malediven. Ausschlafen inklusive. Vorher muss er sich noch um zwei andere kümmern. „Milky Way" und „Brownie" müssen in der Zeit ja versorgt sein - seine Hasen.
Patrick Strasser