Der Neid-Faktor
Bundestrainerin wurde die akribische Arbeiterin auch dank Berti Vogts. Am Donnerstag kann sie mit ihrem Team Europameister werden – das Lob von DFB-Boss Zwanziger gibt es aber schon vorab.
HELSINKI An allem schuld ist Berti Vogts. Denn es war 1995, als Silvia Neid am Ende ihrer aktiven Karriere eigentlich mit dem Fußball abschließen wollte. Neid, die 111-fache Nationalspielerin, hatte vor, eine Mode-Boutique zu eröffnen, doch dann kam der Anruf von Vogts, der damals noch Trainer der DFB-Männer war.
Er redete auf sie ein, doch die Assistentin von Nationaltrainierin Tina Theune-Meyer zu werden. Neid ließ sich überzeugen – und nach neun Jahren als Co-Trainerin übernahm sie 2005 schließlich als Chefcoach das Team, mit dem sie von Erfolg zu Erfolg eilt. Nach dem Weltmeister-Titel 2007 kann sie nun am Donnerstag als Bundestrainerin auch erstmals Europameisterin werden.
Doch ihr eigentliches Meisterstück lieferte sie bereits im Halbfinale ab, als ihre Mannschaft zur Pause 0:1 gegen Norwegen zurück lag – bevor alle drei Einwechselspielerinnen, die sie aufs Feld geschickt hatte, noch ins Tor trafen, und das DFB-Team mit dem 3:1-Sieg noch ins Finale einzog. „Das zeigt einfach, wie gut sie ihre Spielerinnen kennt“, staunte auch DFB-Präsident Theo Zwanziger.
Natürlich gehörte auch Glück dazu, dass ausgerechnet die drei Joker Simone Laudehr (59.), Celia Okoyino da Mbabi (61.) und Fatmire Bajmaraj (90.+3) trafen. Es zeigte aber auch, dass Neid den Kader vor dem Turnier richtig zusammenstellte. Dass sie für jede Situation einen Plan B hat. Dass sie die richtigen Spielerinnen auf der Bank hat. Zufall war es also sicher nicht, eher der Neid-Faktor.
Denn dem Zufall will sie nichts überlassen. Neid ist eine akribische Arbeiterin, die sich nicht nur den Kader, sondern auch ihren Betreuerstab genau ausgesucht hat: drei Assistentinnen, zwei Physiotherapeuten, Arzt, Zeugwart, Torwarttrainer sowie ein Video-Analyst und ein Sport-Psychologe. „Jeder gehört dazu, jeder hat seine Aufgaben“, sagte Neid nach dem Halbfinal-Sieg. Und sie selbst weiß, wie sie ihre Spielerinnen ablenkt. Vor der EM ging’s zusammen zum Bowling, später zur Sprungschanze nach Lahti und nun, nach dem Norwegen-Halbfinale, gemeinsam in die Sauna.
Und auch wenn die 45-Jährige manchmal unbequem erscheint, schroff und spröde, auch wenn ihr der Rummel um die eigene Person zuwider ist und sie weit davon entfernt ist, Glanz und Glamour verstrahlen: DFB-Präsident Zwanziger will sie noch lange behalten, weit über die WM 2011 in Deutschland hinaus. „Eine bessere Nationaltrainerin kann ich mir nicht vorstellen“, sagte er nun.
Die Boutique muss also noch warten.