Der Khedira-Schock und noch drei weitere Baustellen

Sami Khedira verletzte sich beim 1:1 in Italien schwer, er fällt wohl für die Weltmeisterschaft aus. Doch nicht nur auf der Sechser-Position hat Bundestrainer Joachim Löw sieben Monate vor WM-Beginn große Not
von  Patrick Strasser

Mailand - Es war schon weit nach Mitternacht als Wolfgang Niersbach gegen sein Glas klopfte. Der DFB-Präsident begann eine kurze Rede im DFB-Teamhotel "Principe di Savoia" in Mailand auf dem Bankett von Mannschaft, Trainerstab, Betreuern und Delegation.

Über das 1:1 vom Abend in San Siro gegen die Italiener verlor Niersbach nur wenige Worte, der Rest war eine große Würdigung – für Bundestrainer Joachim Löw.

"Der DFB ist zu 100 Prozent von Dir und Deiner Arbeit überzeugt", sprach er Löw direkt an. 100 Prozent für 100 Länderspiele. "Die Nationalmannschaft spielt begeisternd und erfolgreich Fußball. So macht es großen Spaß. Es ist zu spüren, dass Trainer, Mannschaft und Betreuer eine echte Einheit sind. Und das ist Dein Verdienst, Jogi." Applaus. Danke. Gerne.

Löw nahm den Ball auf, spielte ihn zurück. Danke hier, danke da. Und in Richtung seiner Mannschaft: "Ihr seid dafür verantwortlich, dass ich es auf 100 Spiele gebracht habe. Euer Können, euer Einsatz, eure Leistungsbereitschaft."

Beim Austausch der warmen Worte waren viele der Gäste wohl bei Sami Khedira, der zeitgleich in einem Mailänder Krankenhaus untersucht wurde.

Die Schreckensnachricht erreichte den DFB-Tross am Samstagmorgen, bevor man sich auf den Weg nach London machte, zum letzten Länderspiel des Jahres am Dienstag gegen England (21 Uhr, ARD live): Khedira erlitt einen Innenbandriss plus Riss des vorderen Kreuzbands im rechten Knie, er wurde bereits am Samstag in Augsburg operiert. "Wir haben die Hoffnung, dass er zu Beginn der WM wieder gesund ist", sagte Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt. Mehr Motivation des Spielers denn reelle Hoffnung? "Das ist ein bitterer Rückschlag für Sami und uns alle", sagte Löw, "wir waren alle richtig niedergeschlagen. Er ist auf und neben dem Platz eine große Kämpfernatur und Persönlichkeit. Ich bin optimistisch, dass er bis zum WM-Anpfiff fit wird."

Sechs Monate Pause sind die Regel bei diesen Verletzungen, doch um in Top-Form zu kommen, also wirklich auf WM-Niveau, braucht Khedira (26) wohl mindestens weitere drei bis sechs Monate. Das war's wohl mit Brasilien 2014. Für Khedira und Löw ein harter Schlag, denn der Profi von Real Madrid war als Stammspieler im defensiven Mittelfeld fest eingeplant, die erste wahl auf der Sechs, der Position des Abräumers..

Das Loch, das Khediras Ausfall ins Zentrum, ins Herz des DFB-Spiels reißt, ist nicht nur ein Schlagloch, es fehlt beinahe eine ganze Fahrbahn. Die AZ zeigt die weiteren Baustellen des Bundestrainers sieben Monte vor WM-Beginn:

Die Sechser-Patienten: Neben Khedira fallen bis Jahresende Vizekapitän Bastian Schweinsteiger nach OP am Sprunggelenk und Ilkay Gündogan (Rückenprobleme) aus. Die Bender-Zwillinge sieht Löw als nicht gut genug auf Top-Niveau an, bliebe nur noch Toni Kroos für das defensive Mittelfeld. "In der Not spiele ich alles – außer Verteidiger", sagte Kroos, der jedoch eher in der Offensive seine Stärken hat.

Die Lahm-Position: Bleibt nur Philipp Lahm, der Test-Sechser von Mailand, auf dieser Position unter Pep Guardiola neu entdeckt. "Wir hatten viele Ausfälle und ich spiele schon seit ein paar Wochen bei den Bayern auf dieser Position", sagte Lahm. Die Debatte wird bis zur WM anhalten, der Betroffene will bald Klarheit. "Es ist nach wie vor mein Plan, dass Philipp rechts spielt", sagte Löw am Sonntag – trotz der Khedira-Nachricht.

Die falschen Neuner: Mario Götze erwischte als hängende Spitze einen schwachen Abend in Mailand. Kein Esprit, kein Durchsetzungsvermögen. "Man darf es nicht am System festmachen", erklärte Götze zur Debatte um falsche und richtige Neuner. "Wir sind flexibel, müssen einfach nur die Räume besetzen", meinte der 21-Jährige. Lahm sagte zum System ohne einen kopfballstarken Brecher im Strafraum: "Wenn man über außen kommt, flankt, kann man oft nicht hoch reinspielen. Jetzt war Miro (Klose) verletzt, Mario (Gomez) verletzt, so viele Möglichkeiten haben wir nicht." Für England hat Löw noch Marco Reus und Max Kruse als Alternativen.

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