Der Elfmeter, die Latte, die Tränen: Ghana trauert

Johannesburg (dpa) - Als um 23.15 Uhr die Vuvuzelas endgültig verstummten, stürzte Asamoah Gyan zu Boden und wurde von Weinkrämpfen geschüttelt. Das Gesicht vergrub er im Rasen, nur mühsam konnte der 24 Jahre alte Angreifer wieder aufgerichtet werden.
Mitspieler und Betreuer nahmen Gyan in den Arm, strichen ihm über den Kopf oder drückten ihn an sich. Der Stürmer vom französischen Erstligisten Stade Rennes war nicht zu beruhigen und nur schwer zu trösten. Die Menschen verließen nach der bittersten Stunde in der Fußball-Geschichte Ghanas das Soccer City Stadion von Johannesburg. Auf der Anzeigetafel standen die Ziffern 4:2. Für Uruguay.
Zwölf Minuten bevor Sebastian Abreu mit dem letzten Akt des Elfmeterschießens die Tragödie Ghanas und ganz Afrikas besiegelte, hätte Gyan sein persönliches Helden-Epos verfassen können. In der zweiten Minute der Nachspielzeit lagen nur noch elf Meter zwischen dem Mann aus Accra und dem ersten Halbfinal-Einzug einer afrikanischen Mannschaft bei einer Fußball-Weltmeisterschaft.
Uruguays Luis Suarez hatte einen Ball von Dominic Adiyiah auf der Linie wie ein Torwart mit der Hand abgewehrt. Der gute Schiedsrichter Olegario Benquerenca zeigte dem Angreifer Rot und gab den fälligen Strafstoß für Ghana. Es war der letzte Schuss vor dem Elfmeter-Krimi, die letzte Chance vor der Lotterie vom Punkt. Asamoah Gyan lief an, zwei Elfmeter hatte er schon verwandelt während des Turniers.
In der riesigen Schüssel Soccer City Stadion hielten die Menschen den Atem an, ganz Afrika blickte auf Gyan. In diesem Moment lastete der Druck eines ganzen Kontinents auf den Schultern eines 1,86 Meter großen jungen Mannes, der sich mit drei Treffern am Kap in die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit katapultiert hatte.
Doch dann passierte das, was die Zeitung «New Times» aus Ruanda am Tag darauf mit «herzzerreißenden Umständen» zu umschreiben versuchte. Gyan war nervös, er schritt überhastet zum Punkt - und knallte den Ball gegen die Latte. Während der traurige Ghanaer die Hände vors Gesicht schlug, riss Rotsünder, Elfmeter-Verursacher und Niederlagen-Verhinderer Suarez auf dem Weg in die Katakomben jubelnd die Arme in die Höhe. «Es wäre ein Märchen gewesen, wenn es geklappt hätte. Aber alles, was ich jetzt sagen kann, ist: Das ist Fußball», sagte Ghanas Coach Milovan Rajevac zu später Stunde.
«William Shakespeare und Dickens hätten Schwierigkeiten, die richtigen Worte hierfür zu finden. Afrikas Fußballträume wurden im Elfmeterschießen beim dramatischsten Spiel dieser WM zerstört», hieß es bei «Peace FM» aus Ghana. Gyan vergab eine historische Chance, er stürzte einen ganzen Kontinent in Tränen und Bestürzung.
Die Entscheidung musste also wieder vom Punkt fallen. Kapitän John Mensah und Adiyiah scheiterten mit ihren schwachen Schüsschen an Torwart Fernando Muslera, Abreu lupfte schließlich in Panenka-Manier in die Mitte des Tores und mitten ins Herz der Ghanaer.
«Afrika bricht das Herz», schrieb am Samstag «New Times» aus Ruanda. Worte waren schwer zu finden für das, was an diesem Abend in Johannesburg geschah. «Es sieht aus, als ob das von irgendjemandem gesteuert worden wäre», sagte Rajevac. «Ich habe keine Erklärung für das, was heute passiert ist», sagte Uruguays Nationaltrainer Tabarez.
Erst weit nach Mitternacht war Gyan wieder ansprechbar. Den Rucksack mit dem «Ghana»-Aufdruck hatte er über die Schulter gehängt, um den Hals baumelte eine riesige Goldkette mit Kreuz. Die meisten seiner Mitspieler wie Kevin-Prince Boateng zogen gruß- und wortlos an den Reportern vorbei, versteckten sich unter Mützen, Kopfhörern oder Handys. Gyans Blick war leer und müde, als er stammelte: «Ich habe nicht viel zu sagen. Das ist ein Teil des Spiels.»