Der Clooney von Netanya

14 Tage lang hat Lothar Matthäus seinen neuen Verein im nebligen Vorarlberg getrimmt. Nun will er Maccabi Netanya in den Uefa-Cup führen. Eine schwere Aufgabe, denn Matthäus hat erkannt: "Ich habe mit dem kleinen Fußball-ABC anfangen müssen."
SCHRUNS Wo er Recht hat er Recht. „Mein Englisch ist nicht schlechter als Traps Deutsch“, sagt Lothar Matthäus lachend und nimmt einen Schluck aus der Wasserflasche. Kurz vorher hatte der 47-Jährige, seit Anfang Juli Chefcoach beim israelischen Erstligisten Maccabi Netanya, im Training seine Kommandos gegeben. Einen Stürmer in die Spitze geschickt: „One striker on this position.“ Einen Freistoß gepfiffen: „Free kick from here!“ Und dann, als Höhepunkt, höchstpersönlich dem Torhüter vorgemacht, wie eine anständige Parade auszusehen hat: „Goalkeeper, I show you!“
14 Tage lang, bis Sonntagabend, hat der deutsche Rekordnationalspieler seine neue Mannschaft, den Vizemeister Israels, in Vorarlberg getrimmt. Im Regen von Schruns, im oft nebligen Montafon. Testspiele gegen deutsche Teams hat Maccabi ebenfalls absolviert. Und verloren. Zunächst 1:3 gegen Zweitligist FC St. Pauli, zuletzt trat Netanya – bekanntester Spieler ist Ex-Löwe Francis Kioyo – gegen Werder Bremen an. Was Matthäus vor Ort und Maccabi-Eigentümer Daniel Jammer – ein Unternehmer, dessen Großeltern als Holocaust-Überlebende nach Frankfurt gekommen war – per Werder-Livestream zu Hause am Fernseher verfolgten, verwunderte nicht. Netanya war heillos unterlegen und mit dem 0:3 noch gut bedient. „Die spielen Champions League, wir Uefa-Cup-Qualifikation“, erklärte Matthäus, „wir vergleichen uns nicht mit Bremen.“
Zumindest nur ein bisschen. „Werder ist unser Vorbild: Solch ein seriös geführter Verein wollen wir auch werden“, sagt Andreas Stamatiou. Der 41-jährige Deutsche ist Jammers Vertrauter und Finanzvorstand des fünfmaligen israelischen Meisters. Derzeit gibt nämlich der mit russischen Millionen subventionierte Titelträger Beitar Jerusalem am Mittelmeer den Ton an, Stamatiou, Jammer und Matthäus wollen das ändern. Der Etat beträgt zehn Millionen Dollar, Matthäus soll rund eine halbe Million Euro pro Jahr kassieren. Dafür arbeitet er hart. Bei jedem Training auf dem Sportplatz von Vandans, dem Nachbarort von Schruns, mischt er selbst mit – beim Kreisspiel, bei Standards, beim Taktiktraining. Nicht nur Co-Trainer David Pizanti, einst Bundesligaspieler beim 1. FC Köln, ist begeistert. „Lothar ist unser großes Glück. Wir haben einen Professor bekommen. Wir lernen jetzt jeden Tag.“ Und Stürmer Kioyo sagt: „Vergangene Saison haben alle nur lange Bälle auf mich geschlagen. Jetzt versuchen wir, richtigen Fußball zu spielen.“ Matthäus weiß, dass es eher wie ein Versuch wirkt: „Ich habe mit dem kleinen Fußball-ABC anfangen müssen.“
Und die Bedingungen? Matthäus selbst wohnt im Nobelviertel der 170000-Einwohner-Stadt Netanya zwischen Haifa und Tel Aviv. Das sportliche Niveau sei zweite Liga, das Budget dritte Liga, die Infrastruktur Bezirksliga. Das kleine Stadion ist baufällig, der geplante Neubau verzögert sich, ein eigenes Trainingsgelände hat der Klub nicht. „Wir wechseln jeden Tag“, so Matthäus.
Dennoch sind alle stolz, dass der Weltstar nun in Israel wirkt. „Dass ein Lothar Matthäus in Netanya arbeitet, ist doch so, als würde George Clooney eine Spielsaison im Bürgerhaus von Schwalbach auftreten“, erklärt Finanzboss Stamatiou.
Frank Hellmann