Der Boom bleibt ein Märchen
Fünf Wochen nach der Frauen-WM beginnt der Spielbetrieb in der „besten Liga der Welt”. Doch der erhoffte Boom bleibt aus.
Frankfurt - Wenn der DFB lädt, dann folgt die Familie. Gestern herrschte jedenfalls großes Gedränge in den Tagungsräumen drei und vier der Verbandszentrale in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise. Abschlussfeier des Organisationskomitees der Frauen-WM 2011 lautete der Anlass der Zusammenkunft, bei der weder Präsident Theo Zwanziger, die neue DFB-Direktorin Steffi Jones oder Bundestrainerin Silvia Neid fehlen durften. Und alle einte diese entscheidende Frage: Wie lässt der während der WM entfachte Hype um den Frauenfußball nun die am Wochenende beginnende Bundesliga-Saison retten? Was ist davon zu erwarten, wenn der Alltag wieder einkehrt? Die große AZ-Analyse:
Die Favoriten: Erster Anwärter auf die Meisterschaft ist der 1. FFC Frankfurt. „Nach der WM ist vor der Bundesliga”, lautet das Motto beim Pokalsieger, dessen erstes Heimspiel gegen SG Essen-Schönebeck gleich live im HR-Fernsehen (Sonntag 11.15 Uhr) läuft. Die „internationale Weltauswahl” (Nationaltorhüterin Nadine Angerer) trachtet nach allen drei Titeln: Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions League. Die größten Rivalen dürften Meister Turbine Potsdam, FCR Duisburg und neuerdings auch der VfL Wolfsburg werden. Diese vier Teams sind auch für Silvia Neid die Favoriten. Dem FC Bayern werden nur Außenseiterchancen eingeräumt. Potsdams Trainer Bernd Schröder ist trotz der WM kritisch: „Die Liga ist nach wie vor eine Dreiklassengesellschaft, das Niveau muss noch deutlich steigen.” Selbst DFB-Boss Zwanziger sagt: „Wir dürfen nicht überdrehen. Auch in zehn Jahren werden nicht so viele Mädchen Fußball spielen wie Jungs. Für die Frauen-Bundesliga muss das Ziel sein, in die Nähe der Dritten Liga zu kommen.”
Die Stars: Die Bundesliga präsentiert alle deutschen Nationalspielerinnen, „und die Leute haben dazu noch die Gesichter und Geschichten im Kopf”, behauptet Nadine Angerer. In Frankfurt stehen neuerdings auch die Fußballerin des Jahres, Fatmire Bajramaj, die noch am Kreuzband verletzte Kim Kulig, die amerikanische Vizeweltmeisterin Ally Krieger und die japanische Weltmeisterin Saki Kumagai unter Vertrag. Auch die japanischen Stürmerinnen Yuki Nagasato (Potsdam) und Kozue Ando (Duisburg) dürften noch mehr Interesse auf sich ziehen. Potsdam kann mit Genoveva Anonma, die Entdeckung bei Äquatorialguinea, locken, Duisburg mit Alexandra Popp, Linda Bresonik, Annike Krahn und Simone Laudehr Nationalspielerinnen vorzeigen. Selbst der kleine SC Bad Neuenahr hat eine Vorzeigefrau: Celia Okoyino da Mbabi, die sich in Koblenz so wohl fühlt, dass sie nicht wechseln will.
Der Zuschauerzuspruch: Der bisherige Besucherschnitt lag bei 834. Allerorten nun auf Anhieb von verdoppelten oder verdreifachten Zuschauerzahlen zu träumen, verbietet sich. „Vielleicht gewinnen wir ein paar hundert Zuschauer hinzu”, sagt Steffi Jones. Für Frankfurt hält Manager Siegfried Dietrich einen Zuschauerschnitt von 2300 bis 2500 „für eine realistische Zahl”. Duisburg rechnet mit 1700 Besuchern pro Spiel. Doch in etlichen Vereinen ist von Begeisterung wenig zu spüren, so hat SG Essen-Schönebeck erst 45, der 1. FC Lok Leipzig gerade 20 und der USV Jena keine zehn Dauerkarten abgesetzt. In Wolfsburg werden Zuschauer damit gelockt, dass jeder Dauerkarteninhaber für die Männer-Bundesliga auch gratis die Frauen-Bundesliga sehen kann.
Der Stellenwert der Liga: Für Ally Krieger, die Außenverteidigerin im US-Team, steht fest: „Die Bundesliga ist die beste Liga der Welt, sonst wäre ich nicht hier.” Die immer froh gelaunte 27-Jährige sagt: „In der US-Profiliga WPS spielen nur noch sechs Teams, die Saison geht nur sechs Monate. Ich kann mir gut vorstellen, dass weitere US-Nationalspielerinnen nach Deutschland kommen.” Torfrau Hope Solo, das schönste Gesicht der WM, hatte das bereits nicht ausgeschlossen.
Die Vermarktung: Aus dem Fernsehvertrag mit ARD/ZDF – aus dem derzeit allein die Männer des FC Bayern über 25 Millionen Euro pro Saison kassieren – werden pro Frauen-Bundesligist 180000 Euro abgezweigt. Doch es wird noch dauern, bis beispielsweise in der ARD-Sportschau Schnipsel von der Frauen-Bundesliga laufen. Bislang sind die Vereine froh, wenn überhaupt Ausschnitte im Regionalprogramm gezeigt werden. Und professionelle Strukturen wie sie der mit einem Rekordetat von 1,7 Millionen Euro operierende Branchenführer 1. FFC Frankfurt aufgebaut hat, sind die Ausnahme. Steffi Jones empfiehlt: „Die Klubs müssen mit den Spielerinnen werben, die Sponsoren haben gesehen, dass sie sympathisch rüberkommen.”