Das Test-Endspiel für Löw
AMSTERDAM Diese Absagen sind ein Fluch. Einer nach dem anderen funkte in den vergangenen Tagen bei Bundestrainer Joachim Löw durch und meldete sich krank oder verletzt ab vor dem Freundschaftsspiel am Mittwoch in Amsterdam gegen die Niederlande (20.30 Uhr, ARD live). Es droht eine deftige Niederlage – gar ein Debakel gegen motivierte Holländer, die vor eigenem Publikum die Demütigungen der DFB-Elf in den vergangenen beiden Partien (0:3 vor Jahresfrist beim Test in Hamburg, 1:2 bei der EM im Juni) vergessen machen wollen.
„Holland gehört mit uns, den Spaniern und einigen Südamerikanern zu den besten Mannschaften der Welt", sagte Bundestrainer Joachim Löw artig. Nicht nur aus Höflichkeit den Gastgebern gegenüber, auch um zu dokumentieren, um welchen Gegner es sich handelt. Doch die Absenzen der Schlüsselspieler Schweinsteiger, Khedira, Kroos, Klose und Özil sowie der Verteidiger Boateng, Badstuber und Schmelzer helfen Löw andererseits auch. Denn so lag der Focus der Reporterfragen eher darauf. Die Problematik: Wer von den jungen Nachrückern wird für die Verlegenheitself nominiert? Man könnte auch fragen: Wer soll Löw helfen? Einige der Kandidaten (siehe unten) haben den Bundestrainer in Amsterdam zum ersten Mal gesehen.
Und so schwankten Laune und Mimik von Löw bei der Fragerunde am Dienstagmittag im „Marriott Hotel" in der Stadhouderskade 12 zwischen Anspannung und gespielter Lockerheit. Vor allem bei süffisanten Fragen wie: „Herr Löw, ist Ihnen nach dem Erlebnis von Berlin ein 0:0 lieber als ein 4:4?" Antwort Löw: „Ein 4:4 ist immer viel spektakulärer, ein Spiel hat aber auch dann einen Wert, wenn es 0:0 ausgeht." Besser: 4:1, 4:2.
Er weiß: Gäbe es nicht diesen Gegenwind seit der EM und dem vermeidbaren Aus im Halbfinale gegen Italien inklusive den schwächeren Auftritten im Herbst, die im 4:4 nach 4:0-Führung gegen Schweden gipfelten, könnte Löw entspannt in das Duell mit Louis van Gaal und seinen erstarkten Holländern gehen. Eine Pleite im Freundschaftskick wäre ihm verziehen worden. Doch nun bekommt die Partie, ohnehin durch Nachbarschaftsbrisanz und viele Schlachten der Vergangenheit erhitzt, eine ganz besondere Note. „Der Wind hat sich ein wenig gedreht", sagte Teammanager Oliver Bierhoff, „natürlich merkt Jogi, dass sich etwas verändert hat.”
Es ist mehr als ein Test, für Löw eher schon ein Test-Endspiel. Das Spiel ist die letzte Möglichkeit vor einer dreimonatigen Länderspielpause, der Stimmung im Lande rund um die Nationalelf eine positive Wendung zu geben.
Nach seiner Medienoffensive der letzten Wochen erklärte Löw auch in Amsterdam nochmals seine Philosophie: „Es ist keine neue Erkenntnis nach dem Schweden-Spiel, dass wir gesagt haben: Oh, jetzt müssen wir an die Defensive denken!" Und weiter: „Wir müssen die richtige Balance finden, gut stehen. Wir brauchen von Anfang an Stabilität." Ein Zugeständnis – immerhin, denn TV-Kritiker wie Kahn und Spieler wie Torhüter Neuer und Khedira hatten die zu riskante Ausrichtung kritisiert. Doch Löw suchte erneut sein Heil in der Flucht nach vorn: „Es ist ja immer viel von den berühmten deutschen Tugenden die Rede. Vielleicht sollten wir auch den Mut haben, zu sagen, die deutschen Tugenden sind es eben auch, nach vorne zu spielen. Davon wollen wir uns nicht abbringen lassen." Konkreter: „Wir wollen unsere Spielweise nicht grundsätzlich verändern. Dieser Spielstil ist alternativlos." Genau das ist es, was ihm seine Kritiker vorwerfen. Kein Plan B. Denn der lautet bei Löw meist: Plan A besser machen. Seit dem EM-Aus ist auch klar: Selbst Jogi Löw ist nicht mehr alternativlos.