Das Team mit den zwei Gesichtern

Wie Spanisch-Albanien: Beim 4:4 gegen Schweden gesellt sich zur fast genialen Offensive der deutschen Nationalmannschaft eine desaströse Verteidigung.
von  Patrick Strasser

Wie Spanisch-Albanien: Beim 4:4 gegen Schweden gesellt sich zur fast genialen Offensive der deutschen Nationalmannschaft eine desaströse Verteidigung.

Berlin - Reus! Schon wieder Reus! Zwei Vorlagen! Und Müller, der unermüdliche Müller! Zwei sehr clevere, uneigennützige Serviceleistungen. Özil nicht zu vergessen! Er trifft derzeit konstant wie nie, im vierten Länderspiel hintereinander. Und Klose! Natürlich, der ewig junge Klose! Treffer Nummer 66 und 67. Einer noch bis in die Gerd-Müller-Ruhmeshalle. Das war auf Tiki-Taka-Niveau, was die DFB-Elf in der Offensive am Dienstagabend in Berlin zeigte. Spanische Ballstafetten, Doppelpässe, Hackenvorlagen. 6:1 in Irland, 4:0 gegen Schweden. 10:1 in vier Tagen, man steuerte auf einen Torrekord zu.

Mit gewaltigen Reserven: Auf der Bank saß der wuchtige Lukas Podolski, gereift beim FC Arsenal, dazu Supertalent Mario Götze. Verletzt fehlten Julian Draxler und – ach ja, den gibt's ja auch noch - Mario Gomez, dreifacher EM-Torschütze. Hat Spanien mehr Wucht? Trifft nur Italiens Balotelli härter? Kann es Portugals Ronaldo schöner? Nein, mehr Angriffs-Power geht nicht. Sie sind WM-reif, gar Titel-reif, klar. Dieser Auftritt war brasilianisch, messi-mäßig – zum Schwärmen. ARD-Experte Mehmet Scholl, selbst als Aktiver ein Meister des feinen Spiels, wollte ob der "60 perfekten Minuten” nicht meckern. Er sah ein "wunderbares Spiel”, hob immer wieder das offensive Spektakel hervor.

Als wäre das spätere 4:4, der Verlust zweier Punkte in der WM-Qualifikation, nur ein Kollateralschaden. Die schöne Serie mit 13 Siegen in Quali-Spielen ist gerissen. Aber wer trägt die Verantwortung? Die Offensive hat ihren Teil beigetragen. Meisterhaft. Doch es gehören immer zwei dazu, Angriff und Abwehr.

Der Blick nach hinten macht Sorgen. Versetzung nach Brasilien 2014 gefährdet. Eine Viererkette als Trümmerhaufen. Unterlassene Hilfeleistung auch aus dem Mittelfeld. Während vorne die Show lief, wurden hinten die Stecker gezogen, der Energiesparmodus zur falschen Zeit aktiviert. Die Mannschaft berauscht sich offenbar zu sehr an sich selbst. "Das sind die Dinge, die ich auch nach der Europameisterschaft gesagt habe, dass wir häufig den Fehler haben, dass wir unsere Gegner dominieren und dann durch Nachlässigkeiten wieder ins Spiel bringen”, betonte Teammanager Oliver Bierhoff und führte als Beispiele die EM-Spiele gegen Holland und Griechenland sowie das WM-Qualifikationsmatch kürzlich in Österreich an. "Das fehlt natürlich auch, um ganz nach oben zu kommen.”

Die Konsequenz? Bierhoff: "Wichtig ist, den Finger in die Wunde zu stecken. Man darf nicht zur Tagesordnung übergehen. Man wird das knallhart analysieren.” Und zwar: Die Nachlässigkeiten in den letzten Minuten. In Wien hätte Österreichs Arnautovic in den Schlusssekunden den Ausgleich erzielen müssen. Selbst beim 6:1 in Dublin ärgerte sich Torhüter Manuel Neuer über den Nachspielzeit-Gegentreffer zum 1:6. Das letzte Mal Zu-Null spielte die DFB-Auswahl Anfang September gegen die harmlosen Färoer. Bei der EM auch nur in einer von fünf Partien – beim 1:0 zum Auftakt gegen Portugal.

Sind es nur Konzentrationsschwächen? Es ist eine Frage der Qualität. Ein Gewinner der Freakshow von Berlin dürfte Innenverteidiger Mats Hummels sein. Sein Vertreter Per Mertesacker spiegelte mit seinem Auftritt die Leistung der gesamten Elf wider. Vorne traf er im Stile eines Mittelstürmers, hinten verlor er in der Schlussphase die Übersicht. Unterm Strich bleibt: Vorne Spanien, hinten Albanien. Spanisch-Albanien.

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