Das sagt Kabarettist Alfred Dorfer über das WM-Aus der DFB-Elf

Alfred Dorfer, Kabarettist und Fußball-Romantiker, spricht in der AZ über das Aus der deutschen Mannschaft, über Nationalismus und die Gründe, warum Brasilien nicht Weltmeister werden darf.
von  Interview: Matthias Kerber
Der österreichische Kabarettist Alfred Dorfer.
Der österreichische Kabarettist Alfred Dorfer. © Daniel Karmann/dpa

Der Österreicher ist einer der bekanntesten Humoristen des deutschsprachigen Raumes, 2017 wurde er mit dem deutschen Kabarett-Preis ausgezeichnet. Ende September tritt der 56-Jährige im Lustspielhaus auf.

AZ: Herr Dorfer, Sie sind nicht nur Kabarettist, sondern auch bekennender Fußball-Romantiker. Kommen Sie in dieser Funktion bei dieser WM auf Ihre Kosten?
ALFRED DORFER: Eigentlich nicht. Man muss aber sagen, dass meine Ansichten in der Beziehung wirklich sehr, sehr überkommen sind. Ich bin mit so Anschauungen wie Sportlichkeit, Fair Play oder Vereinstreue aufgewachsen. Da lacht ja jeder heute drüber. Heute passiert es ja sogar manchmal, dass Spieler der eigenen Mannschaften zu dem, der neben ihnen ist, sagen, wer bist du denn, weil der erst Stunden vorher geholt wurde. Wer die Romantik aber wirklich mit Füßen tritt, ist für mich Neymar.

Aufgrund seiner üblen Schauspieleinlagen?
Was Neymar macht, dieses Kasperltheater, dass man irgendwo leicht berührt wird und dann auf dem Platz stirbt, kann ich nicht mehr sehen. Das zerstört den Spaß am Fußball. Deswegen darf Brasilien allein wegen Neymar nicht Weltmeister werden!

Wo wir schon bei denkwürdigen Auftritten sind: Was sagen Sie zu den Selbstinszenierungen eines Cristiano Ronaldo?
Er hat ja seine Strafe vom Fußballgott durch das Ausscheiden erhalten, daher will ich Milde walten lassen. Außerdem muss man, neben der Tatsache, dass er großartig Fußball spielen kann, zwei Dinge über ihn sagen. Zum einen bezahlt er die Steuerschulden, das kann man bekanntlich nicht über jeden sagen. Zweitens investiert er sehr viel Geld in karitative Zwecke. Diese Seite ist für mich der Gegenpol für diese Schmierenkomödien-Auftritte auf dem Platz. Das ist etwas, was der Messi ja gar nicht braucht. Man muss also nicht so auftreten, um Weltfußballer zu sein.

Alfred Dorfer: "Seit meiner Kindheit halte ich zu England"

Bizarr auch die Auftritte von Argentiniens Fußball-Ikone Diego Maradona auf der Tribüne, der torkelt, schläft, fast von da oben herunter fällt.
Wir alle hatten ja schon vorher so eine Ahnung, dass Drogen nicht gesund sind, jetzt wissen wir es wohl endgültig. Aber es ist definitiv ein trauriger Verfall. Es gibt im Sport ja viele Beispiele, dass die Helden den Weg aus dem Rampenlicht ins normale Leben einfach nicht finden – Boris Becker etwa. Aber Maradona jetzt, das hat schon etwas extrem Tragisches, die Kamera ist da auch fast voyeuristisch.

Sie sprachen vorher den Fußballgott an. Der hat auch eine leicht zynische Ader, dass er England, das sechs Mal im Elferschießen gescheitert ist, im Achtelfinale gegen Kolumbien wieder die Entscheidung vom Punkt aufgezwungen hat.
Ich habe leider ein großes Problem, denn seit meiner Kindheit halte ich zu England.

Öha.
hrem Schmunzeln entnehme ich, dass sie sofort wussten, was das für eine Schmerzensgeschichte war. Weil wir jahrzehntelang echt schlecht Fußball gespielt haben. Und früh ausgeschieden sind. Ich habe mir das Elferschießen gar ned angeschaut, weil ich gesagt habe, ich weiß eh, wie es ausgeht. Aber ich wurde eines Besseren belehrt. Der Fußballgott ist schon ein witziger Kerl. Ich finde es wirklich lustig, dass Russland gegen Spanien gewinnt. Weil normalerweise muss man da an der Gerechtigkeit des Fußballs zweifeln. Aber in Wirklichkeit ist es so, dass vor acht Jahren Tiki-Taka das Nonplusultra im Fußball war. Mittlerweile ist es aber nicht mehr anzuschauen, das ist nur noch wie altes Ballett.

Selbstbefriedigung mit Ball.
Treffender hätte ich es nicht formulieren können. Das war auch dem Fußballgott zu viel.

Alfred Dorfer: "Der Katzenjammer betrifft alle Ebenen"

Sie sind Satiriker und Österreicher, da wird einem zum historischen frühen Aus der Deutschen einiges auf der Zunge brennen.
Sie werden sich wundern – und ich mich auch –, aber in diesem Fall fehlt mir die Schadenfreude. Ich war sicher, dass Deutschland das schafft, weil sie den Turbo zünden werden, wenn es darum geht, sich zu konzentrieren. Das war ja immer die deutsche Stärke. Das Südkorea-Match war ein erstaunlich kraftloses, fast resignatives Auftreten, wie ich es von einer deutschen Elf noch nie gesehen habe. Da mag man schon gar nicht mehr lästern.

In Österreich kommen dann die Raunzer hervor, die alles schlecht machen. Diese Mentalität war in Deutschland wohl nur durch die ewigen Erfolge überlagert. Es wird plötzlich gegen Jogi Merkel gepestet.
Diese Philosophen, die nachher alles besser wissen, die gibt es bei uns sehr stark. In Österreich weiß man nachher immer sehr viel, wovon man vorher keine Ahnung hatte. Aber das ist eine erstaunliche neue Komponente, dass die deutsche Seele beginnt, alles in Frage zu stellen – und Seehofer spielt da plötzlich auch noch eine Hauptrolle. Der Katzenjammer betrifft dann alle Ebenen. Aber ich bin mir sicher, dass Löw auch in Zukunft nicht die Hände zur Raute formen wird, wenn auch österreichische Medien festgestellt haben, dass Merkel und er sich über die Jahre frisurentechnisch angenähert haben.

Ihre Meinung zur Affäre Özil/Gündogan?
Man kann sicher diskutieren, ob es besonders intelligent war, sich mit dem türkischen Recep Tayyip Erdogan ablichten zu lassen. Und alle, die ein bisserl intelligent sind, wissen, dass es nicht im Ansatz intelligent war. Aber es ist befremdlich, dass genau in diesen Fällen die Ratten aus ihren Löchern und Höhlen kriechen, um das Ihre abzusondern. Das ist im Fall des türkischstämmigen Schweden Durmaz genauso, dem dann das Schwedensein abgesprochen wird. Das Dümmste an der Erdogan-Aktion war, dass man denen Futter geben hat, die nur darauf warten, den Rassismus weiter hoffähig zu machen.

Das denkt Alfred Dorfer über die EM 2020

Wird der positive Patriotismus, der 2006 in Deutschland zur Schau gestellt wurde, jetzt zwölf Jahre später von tumbem Nationalismus verdrängt?
2006 hat Deutschland eine ganz andere Farbe des Patriotismus gezeigt. Das war sehr schön, sehr positiv, sehr weltoffen, sehr fair, sehr sportlich. Aber es sind eben in der Zwischenzeit sehr viele Dinge auf politischer Ebene passiert, die eben auch der anderen Form des Nationalismus eine Bühne bieten. Ich glaube nicht, dass das eine das andere komplett abgelöst hat, sondern dass es sich die Waage hält und die lauteren Schreier im Moment auf der anderen Seite sind. Aber das ist korrigierbar.

Die Idee der EM 2020 als gesamteuropäisches Turnier müsste dem Fußballromantiker in Ihnen gefallen, oder?
Ich finde das großartig, dass ein Spiel in Stockholm, ein anderes in Palermo stattfindet. Es ist der Gegenentwurf zum Nationalismus, der Abschottung. Diesen Gedanken finde ich zutiefst romantisch und kommt meiner Idee des Fußballs sehr nahe.

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