Das Double braucht Zeit
Toni Kroos, erstmals von Beginn an als Schweinsteiger-Ersatz dabei, spielt brav mit, doch Gefahr geht von ihm (noch) nicht aus.
BERLIN Da sage noch einer, Fußball sei ein schnelllebiges Geschäft. Nein, es ist ein blitz-schnelllebiges Geschäft.
Ein Beweis: Gerade einmal etwas mehr als sieben Monate ist es her, da feierte Toni Kroos sein Debüt in der deutschen Nationalelf. Am 3. März in München war das, beim 0:1 im Test gegen Argentinien. Kroos, damals noch Leihspieler von Bayer Leverkusen, kam in der 67. Minute für Thomas Müller, damals auch Frischling. Und nun kommt das Kuriose, nein es ist kein Scherz: Für neun Minuten spielte der damals 19-Jährige im Mittelfeld – jetzt kommt's – an der Seite von Michael Ballack in seinem womöglich letzten Länderspiel und Bastian Schweinsteiger. Ein kurzes Vergnügen. Der Bayern-Star wurde danach ausgewechselt. Es kam Sami Khedira.
Dieser, mittlerweile bei Real Madrid, war gestern im EM-Qualifikationsspiel gegen die Türkei Mittelfeld-Chef, im 15. Länderspiel. An seiner Seite Toni Kroos, mittlerweile zurück bei Bayern. Es war sein erstes DFB-Pflichtspiel von Beginn an, seine bisher größte Prüfung. Er musste den Schweinsteiger geben, der wegen eines Kapselbandanriss fehlte, zugezogen bei der 0:2-Pleite der Bayern vergangenen Sonntag in Dortmund.
Die Wertung seines Auftritts in Berlin gegen die Türken: Stark – stark ausbaufähig. Kroos versuchte das Spiel an sich zu ziehen, er strahlt jedoch Dominanz aus in seinen Aktionen. Bei Freistößen und Ecken aus dem linken Halbfeld war er gefragt, es mangelt allerdings noch an Präzision und Effizienz. Er spielte gut mit, kombinierte fleißig und brav, jedoch meist ohne zwingend zu wirken. Doch auch ein Schweinsteiger musste erst Mitte 20 werden, ehe er in eine Leader-Rolle hineingewachsen war und souveräneren Fußball spielte.
Kroos, bei der WM in Südafrika als Kurzzeit-Joker vier Mal eingewechselt, hatte das Casting von Bundestrainer Joachim Löw für die Königsposition samt Verantwortung neben Khedira gewonnen, und nicht Christian Träsch. Dabei hat der Stuttgarter die Rolle im defensiven Mittelfeld gelernt, anders als Kroos. "Toni Kroos kann auf dieser Position spielen", sagte Löw nüchtern, er vertraute ihm trotz der fachfremden Rolle. Kroos mag's gern offensiver, direkt hinter den Spitzen. Bei Bayern muss er den verletzten Franck Ribéry auf dem linken Flügel.
Optisch erinnerte Kroos, der jüngste DFB-Kicker auf dem Platz, an Schweinsteiger, den jungen Schweini. Blond, Bürstenschnitt, meist die Hände in die Hüften gestemmt vor Standards. Kroos' beste Szene gestern: Ein Weitschuss, den Demirel hielt (68.). Tröstlich: Seine Zeit kommt noch. Ganz sicher, er reift noch. Vielleicht schon am Dienstag in Kasaschstan beim nächsten Test als Schweinsteiger-Double.
Patrick Strasser