„Das Achtelfinale ist für die Schweiz Pflicht“

EM-Gespräch mit Ottmar Hitzfeld: Der jetzt 67-Jährige war von 2008 bis 2014 der Nationaltrainer der Schweiz, der ehemalige Bayern-Coach führte die Eidgenossen 2010 und 2014 jeweils zur WM.
AZ: Herr Hitzfeld, Sie haben nach dem unglücklichen Ausscheiden bei der WM 2014 im Achtelfinale gegen den späteren Vizeweltmeister Argentinien Ihre Karriere als Trainer beendet. Mit welchen Emotionen verfolgen Sie die Partien der Schweizer Nationalelf?
OTTMAR HITZFELD: Ich schaue jedes Spiel und drücke die Daumen. Bis auf ein paar Ergänzungsspieler ist es fast die gleiche Mannschaft, das verbindet. Wenn man so lange zusammengearbeitet hat, liegen einem die Spieler am Herzen.
Was erwarten Sie von Ihrer Ex-Mannschaft unter Nachfolger Vladimir Petkovic, der nach dem Turnier in Brasilien Ihren Job übernommen hat, bei der EM in Frankreich? In Gruppe A geht es gegen Gastgeber Frankreich, Rumänien und Albanien.
Das Wichtigste ist es, die Gruppenphase zu überstehen. Das muss der Anspruch sein.
Die Erwartungshaltung in der Schweiz ist enorm. Viele Experten halten die Eidgenossen gar für einen Geheimfavoriten, zumindest für einen Halbfinal-Kandidaten.
Der Druck ist natürlich da. Das Erreichen des Achtelfinales ist meiner Meinung nach Pflicht, und natürlich gibt es große Hoffnungen, das Viertelfinale zu erreichen. Aber es käme darauf an, auf wen man in der ersten K.o.-Runde trifft. Theoretisch könnte Polen der Gegner sein, auch die deutsche Mannschaft – wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass das DFB-Team in seiner Vorrundengruppe nicht Erster wird.
Was macht diese Schweizer Nationalelf so stark?
Viele der Spieler sind im Ausland tätig, immer mehr Schweizer in den europäischen Top-Ligen begehrt. Als kleines Land legt die Schweiz enormen Wert auf die Ausbildung der Talente. Da wird vorbildlich gearbeitet, man hat ja nicht solch ein großes Reservoir, aus dem man schöpfen kann. Die Spieler haben bei einem Wechsel ins Ausland keine Probleme sich zu akklimatisieren, aufgrund Ihrer Mentalität kaum irgendwo Schwierigkeiten.
Wie meinen Sie das?
Es geht um Disziplin. Schweizer sind sehr diszipliniert, können sich gut anpassen, sind flexibel. Dazu kommt die Sprachgewandtheit, was darin begründet ist, dass in den verschiedenen Kantonen mit Französisch, Italienisch und Deutsch drei Sprachen gesprochen oder an den Schulen unterrichtet werden.
Wer sind für Sie die Schlüsselspieler des aktuellen Teams?
Man hat eine sehr gute Achse. Yann Sommer von Mönchengladbach im Tor, davor gibt Johan Djourou vom Hamburger SV den Abwehrchef, im Mittelfeld ist Granit Xhaka der Leader. Der Gladbacher ist ein absoluter Top-Spieler, der in jeder Top-Mannschaft der Welt mitspielen kann, was die Spielintelligenz, die Technik und die Spielübersicht betrifft. Außerdem hat man Xherdan Shaqiri, den früheren Bayern-Profi, der nach einem Leistungstief nun bei Stoke City wieder in Form gekommen ist. Vorne stürmen Haris Seferovic von Eintracht Frankfurt oder Breel Embolo, ein Riesentalent vom FC Basel, erst 19 Jahre alt und in ganz Europa begehrt.
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Wird das Auftaktspiel am 11. Juni gegen Albanien zum Schlüsselspiel der Vorrunde?
Ja, absolut. Frankreich ist als Gastgeber Favorit der Gruppe, dazu kommen die Rumänen, die fast über zwei Jahre kein Spiel verloren haben, sie sind mit ihrer kompakten Defensive sehr unangenehm zu bespielen. Das Duell mit Albanien wird in der Schweiz medial ziemlich hochstilisiert, da viele Albaner in der 1. Schweizer Liga unter Vertrag sind und drei, vier Spieler der „Nati“ ihre familiären Wurzeln in Albanien haben – darunter Shaqiri und Granit Xhaka, der auf seinen Bruder Taulant trifft. Es wird eine sehr emotionale Auseinandersetzung. Da müssen die Schweizer kühlen Kopf bewahren, das wird nicht leicht. Das erste Spiel ist der Schlüssel, um Platz zwei zu erreichen. Aber die Schweiz besitzt mehr Qualität.