Bester Kick, größter Frust: Die DFB-Elf kann gegen Top-Nationen nicht gewinnen
München - Es war eine richtig kurze Nacht für die Nationalspieler und ihren Tross. Erst um zwei Uhr in der Nacht erreichten die Teambusse wieder den "Home Ground" in Herzogenaurach, das Mannschaftsquartier während der vier Nations-League-Spiele diesen Juni.
Partystimmung ist sicher keine aufgekommen an Bord – obwohl die deutsche Mannschaft auch in ihrem sechsten Heimspiel bei der dritten Auflage dieses Uefa-Wettbewerbs ungeschlagen geblieben ist.
Das "Aber" folgt sogleich: Dabei gelang nur ein Sieg. Alles hat zwei Seiten. Auch dieses 1:1 gegen England. Eine große Fußballnation, eine wie den Fünften der Weltrangliste, den Vize-Europameister England wollte das DFB-Team besiegen, um sich selbst zu spüren, um Bestätigung zu erlangen.
Unglücklich und ungestüm heißt auch: nicht clever (genug)
Aber: Wieder gelang kein Erfolg in diesem WM-Jahr, wieder kein Sieg gegen einen Großen. Gegen England wartet man – wie gegen Spanien – seit drei Partien auf einen Erfolg. Gegen Weltmeister Frankreich gar seit sechs Duellen (siehe unten).
Im März war man nach dem 1:1 im Test gegen die Niederlande rundum zufrieden. Das 1:1 am Samstag in Bologna gegen Europameister Italien war ein Rückschritt, immerhin inklusive Aufbäumen nach dem Rückstand. Diesmal, beim dritten Remis in diesem WM-Jahr gegen einen Großen, gab das DFB-Team im zweiten Nations-League-Gruppenspiel gegen England kurz vor dem Ende den Sieg aus der Hand. Unglücklich aufgrund des vom ansonsten guten Nico Schlotterbeck an Harry Kane ungestüm verursachten Foulelfmeters. Aber unglücklich und ungestüm heißt eben auch: nicht clever (genug).
Mehr Drive und Elan, mehr Intensität hatte das DFB-Spiel gegenüber dem größtenteils müden Auftritt in Bologna. Doch der beste Auftritt des WM-Jahres hatte einen Pferdefuß. 1:0-Torschütze Jonas Hofmann schimpfte: "Bitter, diesen Ausgleich noch zu kassieren, extrem blöd."
Flick: "Das einzige Manko ist, dass wir uns nicht belohnt haben"
Und extrem sinnbildlich für die Leistung. Nah dran, aber eben nur nah dran. So könnte man auch die Reichweite zur absoluten Weltspitze klassifizieren. Fast Weltklasse.
"Wir haben ein tolles Spiel gezeigt. Die Art, wie wir gespielt haben, ist genau das, was wir wollen, was wir uns vorgenommen haben: mutig zu spielen, auch kreativ zu sein, immer wieder versuchen, den Gegner unter Druck zu setzen", meinte Bundestrainer Hansi Flick, "das hat die Mannschaft seht gut gemacht. Das einzige Manko ist halt, dass wir uns nicht belohnt haben." Muss man aber.

Thomas Müller: "Konstanz und Ergebnisse gehören dazu, ein Spitzenteam zu sein"
Vor allem bei einer WM wie im Winter in Katar. Sonst heißt es schon nach dem Achtelfinale (mögliche Gegner: Belgien oder Kroatien): FAST das Viertelfinale erreicht.
Über das 1:1 jetzt sinnierte Thomas Müller: "Wenn dieses Spiel in der Weise zehn Mal gespielt wird, gehen wir deutlich öfter als Sieger vom Platz als England. Es ist eine bittere Note, dass du wieder keinen Dreier einfährst. Im Vergleich zu Italien war das ein anderes Gefühl. Man hat gesehen, wozu wir in der Lage sind. Aber Konstanz und Ergebnisse gehören dazu, ein Spitzenteam zu sein. Es reicht nicht, es immer nur anzudeuten." Das ist der (wunde) Punkt.
Ist diese Nationalmannschaft bereit für den großen Wurf?
Daher wurmte das beste 1:1 der Remis-Trilogie am meisten. Die Euphorie, die sich im Herbst nach der am Ende bleiernen Ära des scheinbar ewigen Bundestrainers Joachim Löw aus der Begeisterung des Neuanfangs unter Flick breitgemacht hatte, ist längst verflogen bei den Fans. Rund ums Nationalteam macht sich Ernüchterung breit.
Die Zweifel werden nun wieder größer, ob diese Mannschaft gut genug ist für einen großen Wurf, eben auch mal zu überraschen. Souverän gewonnene Qualifikationsgruppen sind löblich wie unerlässlich – siehe das unverzeihlich bittere Scheitern von Europameister Italien in der WM-Qualifikation. Dem früheren Bayern-Erfolgstrainer Flick, im elften Länderspiel zwar weiter ungeschlagen (acht Erfolge, drei Unentschieden), haftet noch der Makel an, diesen einen Wow-Sieg noch nicht errungen zu haben.
Am Samstag in Budapest gegen Ungarn kann das DFB-Team kaum etwas gewinnen – ein Pflichtsieg wird erwartet. Wichtiger wäre ein Erfolg am Dienstag kommender Woche in Mönchengladbach gegen Italien. Um einen angenehmen Sommer voller Vorfreude zu haben. Auf einen Wow-Winter in Katar.
Ergebnisse der DFB-Elf gegen die Großen seit 2014
- 03.09.2014 Freundschaftsspiel gegen Argentinien 2:4
- 18.11.2014 Freundschaftsspiel in Spanien 1:0
- 13.11.2015 Freundschaftsspiel in Frankreich 0:2
- 26.03.2016 Freundschaftsspiel gegen England 2:3
- 29.03.2016 Freundschaftsspiel gegen Italien 4:1
- 02.07.2016 EM-Viertelfinale gegen Italien 7:6 n.E.
- 07.07.2016 EM-Halbfinale gegen Frankreich 0:2
- 15.11.2016 Freundschaftsspiel in Italien 0:0
- 22.03.2017 Freundschaftsspiel gegen England 1:0
- 10.11.2017 Freundschaftsspiel in England 0:0
- 14.11.2017 Freundschaftsspiel gegen Frankreich 2:2
- 23.03.2018 Freundschaftsspiel gegen Spanien 1:1
- 27.03.2018 Freundschaftsspiel gegen Brasilien 0:1
- 06.09.2018 Nations League gegen Frankreich 0:0
- 13.10.2018 Nations League in den Niederlanden 0:3
- 16.10.2018 Nations League in Frankreich 1:2
- 19.11.2018 Nations League gegen die Niederlande 2:2
- 24.03.2019 EM-Qualifikation in den Niederlanden 3:2
- 06.09.2019 EM-Qualifikation gegen Holland 2:4
- 09.10.2019 Freundschaftsspiel gegen Argentinien 2:2
- 03.09.2020 Nations League gegen Spanien 1:1
- 17.11.2020 Nations League in Spanien 0:6
- 15.06.2021 EM-Vorrunde gegen Frankreich 0:1
- 19.06.2021 EM-Vorrunde gegen Portugal 4:2
- 29.06.2021 EM-Achtelfinale gegen England 0:2
- 29.03.2022 Freundschaftsspiel in den Niederlanden 1:1
- 04.06.2022 Nations League in Italien 1:1
- 07.06.2022 Nations League gegen England 1:1
Das macht sechs deutsche Siege in 28 Partien – dazu elf Niederlagen und elf Unentschieden.