Interview

Béla Réthy im AZ-Interview: "Was habe ich geflucht"

Das Duell Liverpool gegen Real ist Béla Réthys sechstes und letztes Endspiel. In der AZ spricht die ZDF-Legende über seine Karriere, sein Lieblingsfinale - und warum ihm einst zwei Pizzakartons den Job gerettet haben.
von  Patrick Strasser
Sein emotionalstes Endspiel: Béla Réthy vor dem Wembley-Stadion, wo 2013 der BVB und Bayern um Europas Krone kämpften.
Sein emotionalstes Endspiel: Béla Réthy vor dem Wembley-Stadion, wo 2013 der BVB und Bayern um Europas Krone kämpften. © imago images / Ulmer

München - AZ-Interview mit Béla Réthy: Der 65-Jährige kommentierte von 1996 bis 2018 alle vom ZDF übertragenen Endspiele der Welt- und Europameisterschaften. Paris ist sein sechstes und letztes Finale der Königsklasse im ZDF, nach der WM in Katar (ab 21. November) geht er nach mehr als 35 Jahren beim Zweiten in den Ruhestand.

AZ: Herr Réthy, nach rund 30 Jahren als Kommentator wird das Champions-League-Finale zwischen dem FC Liverpool und Real Madrid Ihr letztes Endspiel am Mikrofon, weil Sie Ende des Jahres beim ZDF in Rente gehen. Kriecht bereits Wehmut in Ihnen hoch?
BÉLA RÉTHY: Nein, im Gegenteil: Vorfreude. Ich freue mich auf Paris, auf die Straßencafés, in denen man einen Café au Lait trinken und dazu ein leckeres Pain au Chocolat essen kann. Allerdings wäre mir der altehrwürdige, charismatischere Prinzenpark als Austragungsstätte lieber als das riesige Stade de France. Aber ich freue mich, weil es eine internationale Paarung ist und kein rein britisches Duell zwischen Liverpool und Manchester City. Nun treffen zwei Klubs des europäischen Traditionshochadels aufeinander. 2018 gab es diese Paarung schon einmal, ich habe das Spiel in Kiew kommentiert als Real gegen Jürgen Klopp und die Reds mit 3:1 gewann.

Wie viele Endspiele der Königsklasse haben Sie bereits hinter sich?
Es dürfte mein sechstes Finale sein. Lassen Sie mich mal überlegen und zusammenzählen: 2013, 2014, 2015, 2016 und eben 2018. Im Jahr 2017 war ich bei einem Länderspiel in Kopenhagen, zur Vorbereitung der B-Nationalelf auf den Confed Cup.

Béla Réthy: "1996 durfte ich in London mein erstes Finale kommentieren"

Mit welchem dieser bisher fünf Champions-League-Endspiele verbinden Sie die meisten Emotionen?
Ganz klar mit dem Bundesliga-Duell zwischen den Bayern und Borussia Dortmund 2013 im Wembleystadion. Dortmund war unter Klopp auf einem sportlichen Höhepunkt, die Bayern unter Jupp Heynckes auf dem Weg zum Triple. Damals dachten alle, dass Heynckes endgültig aufhören würde - es kam ja dann doch anders. Wembley ist ein ganz spezielles Bauwerk, man sitzt als Kommentator sehr nah dran, das ist wunderbar. Und für mich war der Austragungsort aber auch so besonders, weil ich 1996 in London mein erstes Finale überhaupt kommentieren durfte.

Den EM-Triumph der deutschen Nationalelf unter Bundestrainer Berti Vogts?
Genau, mit Bierhoffs Golden Goal. Für mich hat sich damals ein kleiner Kreis geschlossen, weil meine ersten Erinnerungen als Kind mit dem legendären WM-Endspiel 1966 zwischen England und Deutschland zu tun haben. Damals haben meine Eltern in Brasilien, in São Paulo, gelebt und ich habe das Spiel am Radio verfolgt. Und dieser nicht enden wollende "Gol! Gol! Gol!"-Jubelschrei der Reporter hat mich geprägt, das hat seit jeher etwas Magisches. Wahnsinn, wie lange diese positiv Verrückten dabei die Luft anhalten können. Als Jugendlicher habe ich das immer imitiert.

Sie wurden 1956 in Wien geboren, haben ungarische Wurzeln. Als Sie zwölf Jahre alt waren, zogen Ihre Eltern aus Brasilien ins Rhein-Main-Gebiet. Sie haben neben dem Studium als Taxi-Fahrer gejobbt, 1977 im Sport-Archiv des ZDF gearbeitet, später Redaktionspraktika gemacht.
Richtig. 1983/84 ging's dann richtig los, ich wurde Redakteur und habe für Eberhard Figgemeier, Dieter Kürten, Rolf Kramer und Marcel Reif gearbeitet. 1992 durfte ich mein erstes Endspiel zur Primetime kommentieren, den Supercup zwischen Pokalsieger Hannover 96 und Sensationsmeister VfB Stuttgart mit Trainer Christoph Daum. Die Schwaben gewannen in Hannover mit 3:1.

"Auf der Rückseite der Pizzakartons habe ich mir Notizen fürs Spiel gemacht"

Also blicken Sie auf ziemlich genau 30 Jahre als Live-Kommentator zurück. Ihr witzigstes, skurrilstes Erlebnis?
Da müssen wir wieder über Wembley reden (lacht). Am Tag des EM-Finals 1996 in London zwischen Deutschland und Tschechien ist mein Laptop mit all meinen Aufzeichnungen komplett abgestürzt, nichts zu machen. Auch ein ZDF-Techniker konnte nichts retten. Auf dem Weg zum Stadion ist mein Assistent Martin Schneider, der - zum Glück - immer Hunger hat, aus dem Auto gesprungen und hat schnell zwei Pizzen beim Inder geholt. Auf der Rückseite der Pappkartons habe ich mir aus dem Kopf meine Notizen fürs Spiel gemacht. Die Dinger lagen dann auf unseren Kommentatorenplätzen. Wir sprechen ja noch über die analoge Welt. Also habe ich beim Sportinformationsdienst in Neuss angerufen und ein paar Daten und Fakten abgefragt. Was habe ich geflucht! Mir war klar: Wenn ich dieses Live-Spiel überstehe, dann kann mir nichts mehr passieren. Übrigens habe ich seitdem immer einen kleinen Reisedrucker dabei - sicher ist sicher. Papier kann nicht abstürzen.

Die WM in Katar wird Ihre letzte Dienstreise fürs ZDF sein, ohne "Finalteilnahme".
Weil nach einem Verteilungsschlüssel diesmal die ARD die Rechte fürs Endspiel hat. Am 1. Januar gehe ich in Rente, kann Silvester reinfeiern (lacht). Mein Renten-Eintritt wurde extra um acht Wochen nach hinten geschoben, damit ich bei der WM dabei sein kann.

Und was kommt danach? Eine Pause?
Ich habe mein ganzes Leben nie nichts getan. Mal sehen, ob ich das noch lernen kann. Wenn mir dann zu langweilig wird, kann ich gerne noch mal darüber nachdenken, irgendwo weiterzumachen.

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