Ballacks Revierkampf
Podolskis Watschn bleibt ungeahndet. Sie lässt Rückschlüsse auf die Rolle des Kapitäns zu.
CARDIFF Als erster Zeuge trat Theo Zwanziger auf, der Präsident des Deutschen Fußballbundes. Er stand am frühen Donnerstagmorgen direkt am Gate zur Maschine auf dem International Airport von Cardiff. Der höchste Vertreter des Verbandes sollte seine Sicht der Dinge schildern zum Aufreger des Vorabends, als Lukas Podolski Kapitän Michael Ballack auf dem Platz eine deftige Watschn verpasst hatte. 2:0 hatte die DFB-Elf in Wales gewonnen. Nicht mit Ach, aber mit Krach.
Zwanziger lächelte. „Aber meine Herren“, sagte er jovial, „ich bitte Sie. Das war doch nichts, also ehrlich nicht. Das kommt doch mal vor, wie jedes Wochenende in der Kreisliga.“ Wenigstens noch ein richtiger Hinweis gegen Ende – der mit der Kreisliga.
Dass Zwanziger die Watschn von Cardiff fast zur Umarmung gemacht hatte, war ein netter Versuch, Schmackes aus der Angelegenheit zu vernehmen – wäre Minuten später nicht Oliver Bierhoff zum Gate gekommen. Der Teammanager bezog Stellung und verniedlichte dabei nichts. Nach der Rückkehr ins Mannschaftshotel gegen Mitternacht hatte es noch eine von Bundestrainer Joachim Löw einberufene Sitzung mit allen Spielern gegeben. Mit einer Warnung als Botschaft, dass so etwas nicht mehr vorkommen dürfe, danach wurden die Streithähne Ballack und Podolski noch einmal extra an einen Tisch gebeten.
„Sie haben sich ausgesprochen“, berichtete Bierhoff, abgeklatscht hätten sie sich am Schluss sogar: „Poldi hat gesagt, dass es ihm leid tut, dass es eine Affekthandlung gewesen sei. Er fühlte sich da von Michael angegangen."
Dem Kapitän hatte die Laufbereitschaft des Bayern-Stürmers nicht gepasst, er knöpfte ihn sich vor, Podolski wurde handgreiflich. Von wegen nichts gewesen.
"Es ist wichtig, dass jetzt nichts nachbleibt"
Eine Geldstrafe oder sonstige Abmahnungen gibt es nicht – weder für Watschngeber noch für den Watschnmann. Aber einen öffentlichen Rüffel. „Wir haben deutlich gemacht, dass uns solch eine Aktion ins falsche Licht bringt“, meinte Bierhoff. Er hofft: „Es ist wichtig, dass jetzt nichts nachbleibt.“ So sicher wird er sich da nicht sein.
Denn zum wiederholten Male war Kapitän Ballack involviert. Den letzten – allerdings nicht handgreiflichen – Disput auf dem Platz hatte auch er geliefert: Damals, Minuten nach Ende des EM-Finals 2008 gegen Spanien (0:1) mit Bierhoff selbst. Während des Turniers gab es Unmut über den Führungsstil von Boss Ballack, der aber erst in den letzten Wochen von Philipp Lahm und Miroslav Klose öffentlich geäußert worden ist. Beide sind Führungsspieler, beide werden geschätzt für ihre klare Meinung. Sie verteilten verbale Watschn. Ballack war irritiert, sagte, er könne mit den Aussagen nichts anfangen.
Löw und Bierhoff bemühten sich nun klarzustellen, dass durch den Zoff mit Podolski die Autorität von Ballack keinesfalls in Frage gestellt würde. Doch ist das nicht schon längst geschehen? Löw wiederholte am Abend von Cardiff geduldigst: „Klar ist: Anweisungen vom Kapitän und den erfahrenen Spielern müssen umgesetzt werden.“
Wie heftig der Vorfall war, zeigten die prompten wie rustikalen Schlichtungsbemühungen von Per Mertesacker und Philipp Lahm. „Für uns als Mannschaft ist es wichtig, dass wir aufeinander aufpassen“, meinte Mertesacker, „auch in so einer Situation, wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt und dann muss man auch mal dazwischen gehen." Es scheint, als müsse sich Kapitän Ballack ohne seinen treuen Mitstreiter Torsten Frings seines Reviers mehr und mehr erwehren. Löw und Bierhoff stützen ihn. Doch sagt es nicht auch etwas aus, dass sich Spieler so etwas überhaupt gegenüber dem Boss erlauben?
Patrick Strasser