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AZ-Serie zu Zidanes 50.: Zizous ewiger Kampf um Respekt

Mit dem Kopfstoß im Finale der WM 2006 gegen Italiens Marco Materazzi geht die große Karriere von Zinédine Zidane unrühmlich zu Ende. Die Szene steht symbolisch für die andere Seite des Weltstars.
von  Florian Kinast
Späte Anerkennung als Trainer: Mit Real Madrid gewinnt Zidane dreimal die Champions League, als Spieler gelang ihm das nur einmal.
Späte Anerkennung als Trainer: Mit Real Madrid gewinnt Zidane dreimal die Champions League, als Spieler gelang ihm das nur einmal. © picture alliance / Ina Fassbender/dpa

Vor dem Centre Pompidou in Paris enthüllte der in Algerien geborene französische Künstler Abel Abdessemed 2012 eine fünf Meter hohe Bronzeskulptur. Sie zeigte Zinédine Zidane und Marco Materazzi in einer der ikonischsten Momente der jüngeren Fußballgeschichte: Den Augenblick im WM-Finale 2006, als der Zidane seinen italienischen Gegenspieler zu Boden streckte. Unter vorbildlicher Körperspannung, mit dem Kopf auf die Brust.

Eine Szene, die Fußball-Geschichte geschrieben hat: Zinedine Zidane rammt Marco Materazzi den Kopf an die Brust. Die Folge: Rot für die Tätlichkeit und Frankreich verliert das WM-Finale - Zizous trauriger Abgang.
Eine Szene, die Fußball-Geschichte geschrieben hat: Zinedine Zidane rammt Marco Materazzi den Kopf an die Brust. Die Folge: Rot für die Tätlichkeit und Frankreich verliert das WM-Finale - Zizous trauriger Abgang. © picture-alliance/ dpa

Die Fotografie wurde später zum Weltpressefoto des Jahres gewählt, der belgische Schriftsteller Jean-Philippe Toussaint nutzte als Tribünengast des Endspiels den Vorfall als Vorlage für sein Essay "Zidanes Melancholie". Für viele Fußballfans in aller Welt war es ein unwürdiger Abgang dieser Legende, dass er sich in seinem letzten Spiel seiner Karriere zu dieser Tätlichkeit hinreißen ließ, dass er mit seinem Platzverweis Frankreich womöglich um den WM-Triumph brachte. Für andere war es ein großes Ende. Une grande finale. Weil er es sich eben nicht gefallen ließ, was Marco Materazzi über seine Schwester gesagt hatte, dass er sie nach Abpfiff gerne hätte, "la puttana di tua sorella." Deine Schwester, die Nutte.

Eine einzigartige Karriere endet spektakulär

Noch Jahre später erklärte Zidane, er würde lieber sterben, als sich bei Materazzi zu entschuldigen. "Ich bitte den Fußball, die Fans und die Mannschaft um Vergebung", erklärte er, "aber niemals ihn. Das würde mich entehren." So endete eine einzigartige Karriere ganz plötzlich. Auf einen Schlag. Mit einem Stoß.

In Paris erinnert eine zwölf Meter hohe Skulptur an die Szene.
In Paris erinnert eine zwölf Meter hohe Skulptur an die Szene. © picture alliance / dpa

Ganz außergewöhnlich hatte sie schon begonnen, die Karriere in der Equipe Tricolore, im August 1994, in seinem ersten von 108 Länderspielen. Im Freundschaftsspiel gegen Rumänien kam der 22-Jährige beim Stand von 0:2 als Einwechselspieler auf den Platz - und sorgte mit einem Doppelpack kurz vor Abpfiff noch für den 2:2-Endstand. Auch wegen Zidane fuhren die Franzosen als Mitfavorit auf den Titel zur EM nach England und scheiterten im Halbfinale im Elferschießen an den Tschechen. Hätte Reynald Pedros vom FC Nantes getroffen, die Geschichte von Oliver Bierhoff und dem Golden Goal im Endspiel wäre vielleicht ganz anders gekommen.

Dann kam zwar die Heim-WM, doch die Vorfreude darauf hielt sich in Frankreich in Grenzen. Ausrüster Adidas klagte, nirgendwo sonst würde sich das Trikot der eigenen Mannschaft so schlecht verkaufen wie ausgerechnet beim WM-Gastgeber.

Und auch manch Politiker verbreitete schlechte Stimmung, Front National-Chef Jean-Marie Le Pen etwa, der davon faselte, dass es "unnatürlich" sei, "dieses Team französische Mannschaft" zu nennen. Woran sich der Rechtsextremist störte: Die multiethnischen Herkünfte, die Migrationshintergründe der Spiele. All das war ihm zu bunt.

Youri Djorkaeff, mit den armenischen und polnischen Wurzeln seiner Eltern. Marcel Desailly, geboren in Ghana. Christian Karembeu, Neukaledonien. Und natürlich allen voran Zinedine Zidane, der Sohn eingewanderter Berber aus dem Norden Algeriens. All das wurde Le Pen offenbar viel zu bunt. Auch weil Zidane sich immer wieder gegen Rassismus positionierte, weil er Aufrufe gegen Leben und den Front National unterzeichnete, wurde er zur Gallionsfigur im Kampf für die Überwindung der Gräben, für ein harmonisches Miteinander in einer gespaltenen Gesellschaft. Das Black, Blanc, Beur der Mannschaft wurde zum Inbegriff eines multikulturellen Mikrokosmos, der sich übertragen sollte auf die gesamte Gesellschaft zwischen Calais und Cannes. Doch der Freudentaumel, bei dem allein auf den Champs Elysees eineinhalb Millionen Menschen in der Nacht nach dem Endspiel gemeinsam feierten, währte nicht lange und mündete in einem schweren Kater. "Das Miteinander", sagte einmal der Anti-Rassismus-Aktivist Mouloud Aounit, "hielt in Wahrheit nur so lange wie das Feuerwerk bei der Siegesfeier."

Vor Algerien-Länderspiel: Zidane erhält Morddrohungen

Wirklich geeint wurde das Land nicht, im Gegenteil, die Rechtsextremen blieben auch in den mehr als zwei Jahrzehnten danach der Schrecken der Regierung, dazu genügt ein Blick auf die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in den vergangenen Wochen.

Ein Tiefpunkt wurde für Zidane nach dem Gewinn der Europameisterschaft der 6. Oktober 2001, das erste offizielle Länderspiel zwischen Frankreich und Algerien, dem Land seiner Eltern, seit der Unabhängigkeit 1962.

Was als historisches Fest gedacht war, endete im Fiasko, als algerische Fans Frankreichs Premier Lionel Jospin mit Flaschen bewarfen und den Platz stürmten, eine Viertelstunde vor Schluss wurde das Spiel abgebrochen. Ein persönliches Desaster für Zidane, der schon in den Tagen vor der Partie Morddrohungen erhalten hatte. Und Wasser auf die Mühlen des rechten Mobs, der darin einen Beleg für die gescheiterte Integration der Einwanderer sah.

Der Kampf und Anerkennung und Respekt, das Thema Ehre und Stolz, das hatte das Leben von Zinedine Zidane geprägt und auch seine Karriere. Es war nur konsequent, dass er Materazzis Beleidigung nicht hinnehmen konnte und seine Zeit als Fußballer mit der 14. und letzten Roten Karte seiner Laufbahn beendete.

Als Trainer erfolgreicher Titelsammler

Als Trainer von Real feierte Zidane später weitere Erfolge, mehr noch als in seiner Zeit als Vereinsspieler. Holte zweimal die Klub-WM, dreimal die Champions League, 2017 war er Welttrainer des Jahres. Zuletzt gab es inzwischen dementierte Spekulationen um ein Engagement bei PSG, viel denkbarer scheint es, dass Zidane nach der WM in Katar die Nationalmannschaft übernimmt, Didier Deschamps zieht es zurück in den Klubfußball.

Wo auch immer, mit 50 ist Zidane noch lange nicht am Ende, er wird sich weiterentwickeln und noch mehr Titel holen. Das passt ja auch gut zu seinem zweiten Vornamen, mit dem sie ihn in seiner Heimat La Castellane noch heute nennen. Yazid. Den Wachsenden.

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