AZ-Interview: Leon Goretzka vom FC Bayern München über den Umbruch in der Nationalelf
Leon Goretzka (23) spielt seit dieser Saison für den FC Bayern. Der Ex-Schalker hat bislang 15 Länderspiele bestritten.
AZ: Herr Goretzka, im ersten Länderspiel nach der WM geht es in der neuen Nations League gleich gegen Weltmeister Frankreich. Genau der richtige Gegner, um sich nach dem enttäuschenden Turnier in der Weltspitze zurückzumelden?
LEON GORETZKA: Frankreich gehört seit Jahren zu den besten Fußballnationen, deswegen ist es ein Klassiker, unabhängig davon, dass sie Weltmeister geworden sind. Gerade in solchen Spielen müssen wir wieder ein anderes Flair bekommen. Du kannst da nicht wie in einen lockeren Testspielkick reingehen, sondern da spielst du für dein Land, repräsentierst es. Dieses Privileg, das machen zu dürfen, muss einfach wieder über allem stehen. Da musst du dich komplett zerreißen. Das Spiel gegen Frankreich ist eine gute Gelegenheit, das zu zeigen. Wir spielen auch noch in München. Die Vorfreude ist da.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Joachim Löw, der ja ein großer Förderer von Ihnen ist?
Als Bundestrainer ist er für mich eine wichtige Person, weil ich gerne Nationalmannschaft spiele und mich weiter etablieren möchte. Für mich ist es bei der WM im doppelten Sinne nicht gut gelaufen, weil ich das Gefühl hatte, dass ich von Anfang an, auch schon in der Vorbereitung, nahe dran war, an den etablierten Stammspielern zu rütteln. Ich war auf einem sehr guten Weg und habe es dann auch in die Mannschaft geschafft. Dass der Weg so früh geendet ist, ist natürlich sehr schade. Jetzt wird der Umbruch vorangetrieben. Da möchte ich natürlich eine Rolle spielen.
Das sagt Goretzka über die Kommerzialisierung im Fußball
Eine bedeutende, oder?
Das hoffe ich. Du musst einfach weiter deine Leistung bringen, dann hast du gute Möglichkeiten. Ich bin aber nicht der Typ, der sich da irgendwie reinreden, sondern mit Leistung überzeugen will.
Es gab viel Kritik am DFB, auch von Uli Hoeneß, dass die Kommerzialisierung der Nationalelf übertrieben wurde, der Kontakt zu den Fans verlorengehe. Sie haben sich mal als Fußballromantiker bezeichnet. Wäre es auch in Ihrem Interesse, wieder mehr Nähe zu den Fans herzustellen?
Also bei Schalke hatten wir höchstens zwei nicht-öffentliche Trainingseinheiten in der Woche. Da sind die Fans glücklich und froh darüber. Bei Bayern hatten wir auch schon viele öffentliche Einheiten, haben im Trainingslager hunderte Autogramme geschrieben. Über allem steht die Professionalität. Du musst Bedingungen schaffen, um dich optimal auf die Spiele vorzubereiten. Das ist das Wichtigste. Aber es gibt auch Einheiten, wo es kein Problem ist und im Gegenteil sogar sehr schön sein kann, wenn die Fans dabei sind. Wenn man viele lachende Gesichter sieht, die Leute total happy sind, wenn man mal ein Selfie mit ihnen macht. Das ist eine schöne Geschichte, die man sich bewahren sollte.
Halten Sie es für möglich, dass die Fans irgendwann sagen: Es ist zu viel Kommerz, wir gehen nicht mehr ins Stadion?
In England ist die Kommerzialisierung sicher noch weiter vorangeschritten als hier – und die Stadien sind trotzdem voll. Durch die Kommerzialisierung nimmt eben auch die Qualität der Spieler zu. Diese Entwicklung darf man auch in Deutschland und in der Bundesliga nicht ignorieren, dadurch gewinnt der Fußball auch an Attraktivität. Man muss einen guten Mittelweg finden und das, was all die Fans ins Stadion bringt, bewahren. Wir haben in Deutschland den besten Zuschauerschnitt in Europa. Das kommt auch nicht von ungefähr.
Einige Nationalspieler haben ihren Rücktritt nach dem WM-Aus erklärt, unter anderem Mesut Özil. Bedauern Sie das?
Er hat in der Vergangenheit in den Turnieren immer gute Leistungen gebracht und für mich oft auch den Unterschied ausgemacht. Das frühe Ausscheiden bei der WM alleine ihm zuzuschreiben, ist unfair. Da haben wir alle, die im Kader waren, unseren Teil am unbefriedigenden Abschneiden beigetragen, der eine mehr und der andere weniger.