AZ-Interview: Das sagt ARD-Moderator Gerhard Delling über die WM und ihre Botschaft
WM-Gespräch mit Gerhard Delling: Der 59-Jährige ist Moderator bei der ARD, unter anderem bei der Fußball-WM.
AZ: Herr Delling, die WM in Russland ist angesichts der geopolitischen Lage und des Staatsdopings diskussionswürdig. Lange hieß es: Politik gehört nicht ins Stadion. Gilt dieses Grundprinzip noch?
Gerhard Delling: Politik gehört zwar nicht ins Stadion, aber Sport und Politik sind für meine Begriffe überhaupt nicht zu trennen. Ich komme aus einem sehr politischen Haushalt. Es wäre fatal, wenn man das Politische nicht mit berücksichtigen würde. Ich beobachte die augenblickliche weltweite Entwicklung mit Sorge, aber ich sehe in so großen Turnieren wie einer WM auch Chancen.
Kann man durch die Werte des Sports die Gesellschaften der Gastgeberländer wirklich positiv beeinflussen? Die Kraft des Fußballs kann dazu genutzt werden, über die eine oder andere Brücke zu gehen und sich wieder etwas näher zu kommen. Das gilt auch für eine Veranstaltung in einem Land wie Russland. Natürlich ist die WM eine große Präsentation für Putin und Russland, aber sie beinhaltet die Chance, dass man sich auf diplomatischen und anderen Wegen wieder annähert.
Gerhard Delling: "Ich sehe in der WM eine Chance"
Russland wird eines Attentats, des Giftanschlages auf Sergej Skripla, im Ausland verdächtigt. Ist es richtig, dass es die WM ausrichten darf?
Es gab in den letzten Jahren zurecht sehr viele Schwierigkeiten bei Vergaben von WMs und anderen großen Sportereignissen, weil nicht transparent ist, aus welchen Gründen sie vergeben wurden. Normalerweise müsste die Bewerbung überzeugen. Darüber hinaus die Stabilität des politischen Systems im Land. Stabil ist es in Russland auf jeden Fall, aber wir können nicht sagen, dass dort alles mit rechten Dingen zugeht. Es ist in dieser Hinsicht nicht das einzige Land, aber wir könnten in noch schlimmere Zeiten geraten als die des Kalten Krieges. Deswegen finde ich wichtig, dass wir vor Ort sind und immer wieder den Finger in die Wunde legen. Es ist genauso wichtig, dass am Ende des Tages alle ins Gespräch kommen. Im Augenblick ist das nicht der Fall. Ich sehe in der WM eine Chance.
Kann diese WM ein Erfolg werden, obwohl in Russland ein staatliches Doping-Manipulationssystem besteht?
Das ist eine einzige Katastrophe. Es handelt sich nicht um Mutmaßungen, es gibt viele Beweise, die nahelegen, dass es genauso oder noch schlimmer ist, als vermutet. Ich habe gewusst, dass es Doping gibt, aber nie gedacht, dass es noch im flächendeckenden Maße als Staatsdoping verordnet wird. Ich kann nur hoffen, dass durch diesen Schock die Kontrollen erhöht und die internationale Zusammenarbeit verbessert werden. Und dass dann solche Täter wie die russische Föderation nicht nur identifiziert werden, sondern dort alles auf den Kopf gestellt wird.
Gerhard Delling: "Sport ist ein Spiegelbild der Gesellschaft"
Funktioniert das Kontrollsystem der Fifa bei WMs?
Das kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Die Erkenntnisse zu dem letzten großen Dopingskandal zeigen es. Auf Täterseite gibt es immer wieder Möglichkeiten, die Kontrollen zu übergehen und sogar reguläre Dopingproben verschwinden zu lassen. Die Täter sind immer ein bisschen kreativer. Aber: Das Bewusstsein hierfür wächst und deshalb werden die Betrugsmöglichkeiten immer schwieriger. Es geht nur durch eine internationale Zusammenarbeit mit einer unabhängigen Kommission. Bis das erreicht ist, wird es noch lange dauern.
Können die Schattenseiten des Fußballs Ihre Begeisterung für diesen Sport trüben?
Ich finde, sie sind sehr frustrierend. Ich war zum Beispiel sehr geschockt über den Schiedsrichter-Bestechungsskandal in der Bundesliga. Weil ich mir das für diesen Sport überhaupt nicht ausmalen mag. Aber es ist Realität. Es gibt auch ganz viele andere Schandtaten in dieser Welt, und trotzdem liebe ich das Leben. Sport ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Ich bin bei allem Blick für das Politische und die Menschen in Russland auch Fußball-Junkie.
Wie menschlich ist der Fußball überhaupt noch?
Es ist im Augenblick ein schmaler Grat, weil die Unterschiede zwischen den Summen, die im Fußball bezahlt werden und der Realität der Menschen fast unanständig geworden sind. Das nimmt selbst der härteste Fan nicht einfach hin. Ich würde mir wünschen, dass die Sensibilität auf der Seite der Fußballverantwortlichen wächst. Den Fußball konnte man als Sport nie kaputt kriegen, aber als internationale Massenbewegung kann man ihn beschädigen. Irgendwann kommt die Milliarde als Ablösesumme, das wäre für mich die nächste ganz große Katastrophe. Ich fand schon die 222 Millionen Euro für Neymar unterirdisch. Das verletzt die Würde all derjenigen, die für ihr Geld härter arbeiten müssen.
Gerhard Delling über russische "Nabelschau"
Warum hat Russland sich überhaupt für die WM beworben, wo doch Eishockey der Nationalsport ist?
Weil eine WM immer eine Nabelschau des Landes ist. Von diesem Denken sind wir in Deutschland weit entfernt. Und doch haben wir durch die Sommermärchenstimmung 2006 enorm profitiert. Natürlich hat Putin großes Interesse, dass diese Nabelschau so positiv ausfällt wie möglich und auch auf ihn persönlich Glanz fällt. Jedes Land, das sich für eine WM bewirbt, hat sein eigenes elementares Interesse. Das sind nicht immer nur die Leute, die Fußball so schön finden. Man muss den Ländern aber klarmachen, dass sie sich mit einer WM nicht nur Lob ins Land holen, sondern auch kritische Beobachtung. Das müssen wir nutzen – und zwar auf einem vernünftigen Weg.
Beim Confed Cup 2017 ist Russland bereits in der Vorrunde ausgeschieden, jetzt steht das Team im Viertelfinale. Wie sieht es mit der Euphorie im Lande aus?
Das Interesse am Fußball ist absolut da. Er verbindet die Menschen, egal in welchem Land. Es ist kein Zufall, dass man kurz nach Jesus Christus Geburt sich in China irgendetwas Rundes zusammenschusterte, um dieses in irgendetwas Eckiges hineinzubefördern. Am liebsten mit dem Fuß. Dieser Sport übt eine Faszination auf die Menschen aus über den großen professionellen Fußball hinaus. Das ist auch in Russland so.
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