Axel Hacke: „Stets großes Theater, auch mal Sprechdurchfall“

Hier erklärt der Schriftsteller Axel Hacke, was ihn am Fußball fasziniert, was Lothar Matthäus mit Boris Becker verbindet, warum er zu Hoeneß hält – und auch als Bayern-Fan den Löwen Mut macht.
AZ: Axel Hacke, Sie haben mal als Sportjournalist angefangen und waren auch Fußball-Reporter. Wieso haben Sie das aufgegeben damals?
Axel Hacke: Ach, ich wollte ja immer schon noch was anderes schreiben, ich war eher durch Zufall Sportjournalist geworden. Und ich hatte auch immer das Gefühl, ich hab einfach zu wenig Ahnung davon. Im Sportjournalismus wurde man, zumindest damals, ja sehr schnell Fachmann: Man musste nur zweimal irgendwo hingegangen sein, schon galt man als Experte. Fußballer aber verbringen Tag und Nacht mit Fußball, ihr ganzes Leben denken die an nichts anderes. Und dann kommen Leute wie ich, die zwar schreiben können und auch recherchieren, aber von der Sache an sich zu wenig verstehen. Fand ich jedenfalls.
Den FC Bayern als Unterhaltungsgröße haben Sie aber ganz gut analysiert: Sie schreiben in „Fußballgefühle“, Ihrem neuen Buch, vom „ungeschminkten Größenwahn dieses Vereins“.
Die sagen ganz offen: „Wir wollen die Größten sein, und wir sind auch die Größten." Dass das so klar formuliert und am Ende auch durchgesetzt wird, fand ich immer klasse. Das ist übrigens auch sehr münchnerisch: dieser Hang zur Selbstdarstellung, zum Spiel und gleichzeitig zum realen Erfolg. Da wird stets richtig großes Theater aufgeführt. Und das schon seit den Zeiten des unvergessenen Willi O. Hoffmann.
Der als Präsident den Beinamen „Champagner-Willi“ hatte.
Das war gelebte Münchner Folklore, echt und aber auch surreal. Heute weiß man doch, wenn sie ihre Lederhosen anziehen: Es ist ihnen von der Marketingabteilung gesagt worden. Der Willi O. hätte auch bei Lion Feuchtwanger vorkommen können, eine lebende Romanfigur, gleichzeitig lächerlich und ernst. Oder bei den Spielern: So eine Type wie Lothar Matthäus, den kannst du gar nicht erfinden, der ist seine eigene Satire, da muss man nichts mehr dazu tun: dieser Sprechdurchfall, das Leben voller Frauen und Fettnäpfen. Dass jemand bereit ist, sein Leben zu unserem Amüsement zu leben – Wahnsinn!
Weil man als Autor solche Figuren gerne karikiert?
Natürlich ist das, was Lothar sagt, oft von unfreiwilliger Komik. Aber man darf nie vergessen: Er war ein großer Künstler - in der Kunst des Fußballs. Mir fällt kaum jemand ein, nicht mal Effenberg, der so eine Energie auf den Platz brachte. Matthäus ist ein Beispiel dafür, was aus einem Fußballer werden kann, wenn er nicht mehr spielt. Einer, der vom Fußball alles verstanden hat, aber vom Leben außerhalb des Platzes nicht wirklich viel. Das ist ja manchmal das Tragische an Sportlerleben: dass sie den Sport so gut konnten und das Leben dann nicht.
Da denkt man an Boris Becker.
Ein genialer Tennisspieler – der nicht mehr Tennis spielt. Sondern jetzt nur noch Boris Becker ist. Und das ist so erstaunlich wenig. Eine groteske Figur, tragisch. Er hat Tennis aufgehört mit Mitte 30, und die nächsten Jahrzehnte verbringt er als Witzfigur. Ist das nicht furchtbar? Diese Energie, jemand sein zu wollen, immer siegen zu wollen, das zeichnet einen Sportler ja aus. Und dann hat er plötzlich nichts mehr, wo er es umsetzen kann und scheitert im normalen Leben, das ist bei aller Albernheit sehr traurig.
Heute gibt es immer weniger Typen, vor allem im Fußball.
Ja, zum Fußball hat immer auch die Farbe der Figuren gehört, das weite Panoptikum von menschlichen Charakteren. Das ist leider dem Fußball etwas verloren gegangen, dieser Wahnsinn! Dass einer betrunken über den Zaun vom Trainingsgelände klettert oder in eine Schlägerei verwickelt war. Wo sind sie, die George Bests, die Cantonas, die Gascoignes? Oder Matthäus und Basler? Die gibt es nicht mehr, weil der Fußball immer mehr ein Geschäft geworden ist, bei dem diese Dinge abgeschliffen werden von einer Armada an Betreuern und Beratern. So nimmt man dem Fußball den Irrsinn und macht ihn auch ein bisschen gesichtslos. Jeder ist ersetzbar. Das schadet dem Spiel nicht, das Spiel selber wird ja immer besser, es ist so gut wie nie heute. Aber dieses Unangepasste verschwindet.
Beim FC Bayern nicht. Da weigert sich ein Uli Hoeneß einfach abzutreten, selbst der Steuerprozess und eine drohende Haftstrafe lassen ihn nicht zweifeln daran, dass er der Richtige ist. Er weint auf der Mitgliederversammlung, lässt sich feiern und fühlt sich bestätigt.
Uli Hoeneß ist eine der ganz großen, im Moment natürlich leider auch tragischen Figuren des Fußballs. Ich mag ihn gerne, er ist mir sehr sympathisch. Ja, er hat wohl eine verhängnisvolle Neigung zum Zocken und hat deswegen Fehler gemacht, das weiß er selbst. Das Problem aber ist: Als Uli Hoeneß kann man nicht mal eben einen Fehler machen, der muss jetzt extrem büßen. Ich finde es traurig, das zu sehen.
Er hätte sich zurückziehen können.
Ich verstehe, dass er es nicht tut. Es würde nicht zu ihm passen. Es ist die letzte Form von patriarchalischer Herrschaft, die er ausübt – die es so sonst kaum noch gibt. Die heutigen Manager sind ja austauschbar, in den meisten Unternehmen wechseln die Führungsköpfe alle paar Jahre. Dass ein Leben so existentiell mit etwas verknüpft ist wie das von Uli Hoeneß mit dem FC Bayern, das gibt es doch gar nicht mehr. Er ist eben nicht austauschbar.
Vielleicht klebt er so am Amt, weil er es wie Sie sieht: „Fußball ist schöner als das Leben.“ Im Epilog Ihrer „Fußballgefühle“ schreiben Sie: „Das Schönste am Fußball? Es gibt immer wieder ein neues Spiel. Immer Hoffnung, immer ein Morgen. Es fängt alles immer wieder an.“ Letzte Frage an den Bayern-Fan Axel Hacke: Gilt das auch für die Fans des TSV 1860?
Erstaunlicherweise: Ja. Ich wundere mich auch, dass die Leute irgendwie die Hoffnung nie aufzugeben scheinen beim TSV 1860 – obwohl wir, die wir nicht solche Masochisten sind, doch alle sagen: Leute, lasst es bleiben, es wird nie was. Aber so ist es nicht, und das ist gut so. Weil es nämlich wunderbar ist, dass auch in der heutigen Welt noch jemand sagt: Ich kann's mir nicht aussuchen; ich leide lieber, als mir und meinem Verein untreu zu werden.