Augsburgs Chance: "Uns hat jeder abgeschrieben!"
Mainz -Seiner historischen Tat war sich Jan-Ingwer Callsen-Bracker (27) nicht bewusst. Als der gebürtige Schleswig-Holsteiner in der 88.Minute ganz cool den Foulelfmeter verwandelte, bedeutete der erste Sieg des FC Augsburg weit mehr als nur Saisonstatistik. Das 1:0 in Mainz gegen den FSV 05 schreibt Augsburger Stadtgeschichte. Die bayrisch-schwäbische Metropole solcher Fußball-Legenden wie Ernst Lehner, Helmut Haller und Bernd Schuster feierte den ersten Bundesligasieg überhaupt.
Der FCA, erst 1969 durch den Zusammenschluss der einstigen Traditionsvereine BC und Schwaben Augsburg entstanden, ist nach dem Aufstieg nun am neunten Spieltag auch siegreich in der Bundesliga angekommen. Kapitän Uwe Möhrle: „Unter der Woche fragt jeder, wann es denn endlich klappt. Der Sieg war extrem wichtig, denn wenn man immer mehr an Boden verliert, geht auch die Motivation mit der Zeit verloren. Nun haben wir den Bock endlich umgestoßen und ein Lebenszeichen von uns gegeben.”
Auch Torwart Simon Jentzsch ist erleichtert: „Der Druck ist weg, dass wir nicht gewinnen können. Das ist natürlich ein Schritt nach vor. Mit uns rechnet keiner. Uns hat jeder schon abgeschrieben. Das ist unsere Chance. Wir müssen den Glauben haben, es zu schaffen.”
Ex-Löwe Jentzsch, dieser Torwart-Hüne von 1,96 Meter, stand für die Leidensfähigkeit und Leidenschaft. Bei einem fulminanten Schuss des Mainzers Pospech in der 26. Minute hatte er noch die Fingerspitzen der rechten Hand zwischen Ball und Latte. Folge: Kapselanriss am Ringfinger. „Der Körper hat soviel Adrenalin, da spürt man die Schmerzen kaum”, sagte Jentzsch.
Der eine ignorierte die Schmerzen, der andere behielt die Nerven. Der Trainer habe gesagt, wer sich am sichersten fühle, soll nach den zuletzt verschossenen zwei Elfmetern antreten. „Ich habe mich sicher gefühlt, war zuerst am Ball. Keiner hat ihn mir weggenommen. Also habe ich ihn reingehauen”, erzählte Callsen-Bracker. Sascha Mölders war bei einem Konter aufs Tor gestürmt, er traf nur den Pfosten. Axel Bellinghaus spekulierte auf ein Foul im Kampf um den abgeprallten Ball: „Svensson tut mir den Gefallen und haut mich um.”
Die Folge: Die Mainzer Minusserie hält an. Die vierte Heimniederlage in Serie, seit nunmehr sieben Spielen ohne Sieg. Die Stimmung unter den 30000 Zuschauern in der neuen, schmucken Arena ist auf schiere Fassungslosigkeit gesunken:Und so klagte Trainer Thomas Tuchel über die „fehlende Verstärkung” von den Rängen. Die Mainzer gestalteten die zweite Halbzeit derart überlegen, dass Augsburgs Trainer Luhukay „einen schweren Kopf” bekam. Die Statistiken (20:10 Torschüsse, 66 Prozent Ballbesitz, 54 Prozent gewonnene Zweikämpfe, 9:4 Ecken) trösten aber nicht, wenn beim wichtigsten Detail ein 0:1 steht.
„Im Moment fühlt es sich an, als würden wir dreimal ums Dorf laufen, bis wir in die Kirche gehen”, klagte Tuchel. Die M ainzer müssen nach unten schauen, auch wenn der Trainer noch scherzt: „Was ist Abstiegskampf? Muss man den kennen, um ihn zu können? Zieht man da Helme auf?"