Augenthaler: „...und dann rief der Franz an“

AZ-Serie: 25 Jahre nach dem WM-Gewinn 1990. Klaus Augenthaler über den Titel, die Wut des Kaisers und warum er zu spät zur Titelsause kam.
von  Simon Stuhlfelner
Da ist das Ding! Augenthaler (l.) mit Matthäus und dem WM-Pokal.
Da ist das Ding! Augenthaler (l.) mit Matthäus und dem WM-Pokal. © Rauchensteiner/Augenklick

München -  Am 8. Juli 1990 krönten sich die deutschen Fußballer um Lothar Matthäus bei der WM in Italien zu den Fußball-Königen der Welt. Zu Ehren des 25. Jahrestages dieses weltmeisterlichen Ereignisses startet die AZ eine Serie rund um einige der Protagonisten des Triumphes. Den Auftakt macht Bayern-Legende Klaus Augenthaler.

AZ: Herr Augenthaler, der WM-Titelgewinn von 1990 jährt sich heuer zum 25. Mal. Wie oft denken Sie noch an den Triumph in Italien?

Klaus Augenthaler: Ich werde natürlich oft drauf angesprochen, aber sonst denk’ ich da kaum noch dran, dass ich Weltmeister war 1990. Warum auch? Auch an konkrete Szenen denke ich nicht, außer vielleicht an den Elfmeter an mir, der nicht gegeben wurde.

Im Finale gegen Argentinien, als Sie deren Torwart Sergio Goycochea im Strafraum von den Beinen geholt hat...

Das war ein klarer Elfmeter!

Und sonst? Gibt es keine Momente, keine Episoden, die sich im Gedächtnis eingebrannt haben?

Vielleicht noch der Moment, als wir eingelaufen sind zum Endspiel und ich den Weltpokal gesehen habe, aus 20 Zentimetern Entfernung, zum Greifen nah! Da hab’ ich innerhalb kürzester Zeit die ganze Vorbereitung Revue passieren lassen, Malente, Kaiserau, Kaltern (Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft vor der WM, die Red.), die Quälerei, weil ich ja mit der Leiste und der Achillessehne große Probleme hatte. In dem Moment hab’ ich mir gedacht: „Jetzt hast du es so weit geschafft, es war ein so steiniger Weg. Wenn das Spiel vorbei ist, möchtest du dieses Ding auch in der Hand halten.“

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Sie haben Ihre Probleme in der Vorbereitung angesprochen. Gab’s auch mal einen Punkt, an dem Sie gesagt haben, ich schmeiß’ jetzt alles hin?

In Malente, wo wir vor der WM eine Woche lang im Trainingslager waren, hab’ ich beim Laufen in der Früh jedes Mal solche Schmerzen gehabt, dass ich gesagt habe: „Franz, ich hör auf, das bringt nichts mehr, ich fahr’ nach Hause.“ Beckenbauer hat mich dann wieder überredet. „Wir haben doch gute Ärzte und Physios, die bekommen das schon hin.“ Nach vielen Behandlungen und zwei Tagen Heimaturlaub wurde es dann ein bisserl besser. Beim zweiten Trainingslager in Kaltern hat’s wieder gezwickt, aber ich war dann überzeugt: Jetzt kann ich die WM auch noch spielen.

Zum Glück für Sie...

Ja, absolut. Die WM war dann der krönende Abschluss meiner internationalen Karriere. Mit dem FC Bayern habe ich ja leider den Europapokal der Landesmeister nicht gewonnen, wir haben zweimal im Finale gut gespielt und unglücklich verloren. Gegen Aston Villa in Rotterdam und gegen Porto in Wien, wo ich aber gesperrt und verletzt war.

Sie wurden ja auch in der Nationalmannschaft lange nicht berücksichtigt, hatten vor der WM nur 20 Länderspiele. Hat es Sie überrascht, dass Franz Beckenbauer Sie dann trotzdem unbedingt zur WM mitnehmen wollte?

Ich hatte ja unter Jupp Derwall schon zweimal abgesagt, hatte in der Nationalmannschaft schon mehr oder weniger aufgehört. Vor der WM hab’ ich dann beim FC Bayern zwei sehr gute Saisons gespielt, irgendwann, es muss kurz vor Saisonende gewesen sein, kam dann der Anruf vom Franz: Er bräuchte mich. Und wenn der Franz Beckenbauer anruft, kann man nicht Nein sagen.

Der WM-Titel von 1990 gilt als das Meisterwerk Beckenbauers. Wie würden Sie seine Rolle beschreiben?

Er war absolut souverän. Jeder denkt immer, Franz Beckenbauer fällt alles in den Schoß. Aber er war ein akribischer Arbeiter, wir waren immer sehr gut vorbereitet. Ich hab’ ja im Hotel zwei Türen neben ihm gewohnt: In seinem Zimmer hat immer lange das Licht gebrannt, weil er bis in die Nacht herumgetüftelt hat. Beckenbauer hat dem Team auch gewisse Freiheiten eingeräumt.

Haben Sie das mal ausgenutzt?

Ja, an das eine Mal kann ich mich erinnern: Wir waren beim Essen und kamen eine halbe Stunde zu spät ins Hotel zurück. Wir hatten schon ein schlechtes Gewissen und wollten schnell auf unsere Zimmer. Da stand der Franz schon mit der gesamten medizinischen Abteilung und sagte: „Jetzt trinken wir noch ein schönes Pils miteinander.“

Aber er konnte auch streng sein...

Er hat uns viele Freiheiten gegeben, aber beim Training oder beim Spiel, da wurde er zum Vulkan, wenn etwas nicht so gelaufen ist, wie er sich das vorgestellt hat.

Legendär ist ja sein Wutausbruch nach dem Viertelfinale gegen die Tschechoslowakei, das Deutschland mit 1:0 gewonnen hatte.

Da hat er alles, was nicht nagelfest war, durch die Kabine geschossen. Wir Spieler haben uns schnellstens ausgezogen und geschaut, dass wir ins Warmwasserbecken kommen. Aber auch da kam er hinterher und hat getobt. Zum Glück war es da drin so warm, dass er es nicht lange aushalten konnte.

Später hieß es immer, die Stimmung in der Mannschaft sei während des Turniers hervorragend gewesen. Woran lag es, dass es so viel harmonischer war als zum Beispiel 1986, als Sie auch dabei waren?

1986 war mehr so eine Gruppenwirtschaft, drei, vier Grüppchen, die gegeneinander gekämpft haben. Franz war auch noch neu, hat sich zum Teil mit den Journalisten angelegt. 1990 war die Erfahrung vom Franz eine wesentlich andere – und der ein oder andere von 86 war nicht mehr dabei. Jeder hat den anderen akzeptiert, die Hierarchie hat gestimmt. Es war so ähnlich wie letztes Jahr in Brasilien, als die deutsche Mannschaft auch von Spiel zu Spiel enger zusammengerückt ist.

Wer war denn der Spaßvogel, der immer wieder für gute Stimmung gesorgt hat?

Der Sepp Maier natürlich, aber er war nicht nur der Spaßvogel, sondern er hatte ein Gespür für die Stimmung. Speziell nach dem Tschechien-Spiel, als der Franz so giftig war, hat er wieder eingelenkt und den Franz beruhigt. Und Pierre Littbarski sowieso, der hatte auch nur Blödsinn im Kopf.

Bei der Titelparty war die Stimmung dann bestimmt auch ganz ausgezeichnet...

Ich war ja leider einer der Letzten, der dazukam, weil ich vier Stunden bei der Dopingkontrolle war.

Vier Stunden?

Naja, unmittelbar nach dem Spiel, als auch der Bundeskanzler Kohl in der Kabine war, kamen zwei Kontrolleure von der Fifa rein. Ausgerechnet ich war bei den Ausgewählten für die Doping-Kontrolle. Und ich hab beim Wasserlassen einfach nicht gekonnt. Ich bin dann erst vier Stunden später wieder ins Hotel gekommen, da waren die Jungs schon beim Feiern, die hatten schon die dicken Zigarren ausgepackt. Aber ich war sowieso bei der braven Fraktion dabei, weil ich meine Frau und unser Baby dabei hatte. Wir mussten am nächsten Tag wieder früh aufstehen.

2014 ist Deutschland endlich wieder Weltmeister geworden. Welche Mannschaft war denn die bessere? Die Neunziger oder die 2014er?

Ich hab’ zum Jérôme Boateng mal im Spaß gesagt: „Wir haben im Finale nicht so viele Chancen zugelassen wie ihr 2014.“ Aber im Ernst: Ich weigere mich, Vergleiche anzustreben, der Fußball ist jetzt komplett anders als 1990.

Seit Ihrem Abschied von der SpVgg Unterhaching 2011 ist es ruhig um Sie geworden. Würde Sie ein Trainerjob nicht mehr reizen, in der Bundesliga oder im Ausland?

Im Ausland weniger, zumindest im weiter entfernten. Bundesliga – warum nicht? Wenn man einmal in der Tretmühle drin war, kommt man nicht so einfach davon los. Aber ich bin ja trotzdem noch viel im Fußball unterwegs.

Was machen Sie genau?

Ich bin als Berater tätig, aber nicht fest für eine Agentur, sondern mehr auf persönlicher Ebene.

Sie haben mal angedeutet, der Trainerjob bei den Löwen würde Sie reizen...

Die Sechz’ger sind für mich ein Phänomen. Fast genauso oft wie von den Bayernfans werde ich von den Löwenfans angesprochen, die es auch überall gibt: „Mensch, Auge, du wärst doch einer für uns.“ 60 000 Zuschauer in der Relegation gegen Kiel: Was die Löwen für ein Potenzial hätten... Schade, dass das so brach liegt. Aber zum Glück sind sie in der 2. Liga dringeblieben. Ich hoffe, dass sie sich einigermaßen erholen.

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