Auftreten, Fehler, Visionen: Wie Julian Nagelsmann innerhalb eines Jahres die DFB-Elf umkrempelte

Seit einjähriges Jubiläum als Bundestrainer feiert Nagelsmann recht unglamourös beim DFB-Auftritt in Bosnien. Was ist seit seinem Start passiert, wie hat er sich und die Nationalelf verändert? Eine Bilanz der AZ.
von  Patrick Strasser
Julian Nagelsmann ist mittlerweile fast genau ein Jahr lang als Bundestrainer im Amt.
Julian Nagelsmann ist mittlerweile fast genau ein Jahr lang als Bundestrainer im Amt. © Federico Gambarini/dpa

Zenica - Seine Feuertaufe erlebte Julian Nagelsmann bei den Huskies. Am 14. Oktober letzten Jahres bestritt die deutsche Nationalmannschaft das erste von zwei Testspielen während der US-Tour im "Pratt & Whitney Stadium at Rentschler Field" in East Hartford, auf dem Gelände der UConn Huskies, das zur Universität von Connecticut gehört.

Nach dem 0:1-Rückstand drehten Ilkay Gündogan, Niclas Füllkrug und Jamal Musiala die Partie, machten aus Nagelsmanns DFB-Premiere einen 3:1-Erfolg.

Spiel eins von mittlerweile 15 in Nagelsmanns Ära, die mit der Vertragsunterschrift und Antritts-Pressekonferenz am 22. September 2023 begonnen hatte. Damals, so glaubte man, schien der Job für den Trainer, der beim FC Bayern im März 2023 so abrupt und unvermittelt entlassen wurde, eine Beziehung auf Zeit zu sein.

Ein Flirt mit dem für den jungen Coach so ungewöhnlichen Amt, der seine Flitterwochen bei der Heim-EM 2024 erleben wollte. Wirklich fest binden wollte sich der damals 36-Jährige nicht, auch beim Verband scheute man einen ‒ im Negativfall ‒ kostspieligen, weil langfristig geschlossenen Vertrag.

Ein Jahr Bundestrainer: Die Entwicklung unter Julian Nagelsmann ist positiv

Fast auf den Tag genau nach einem Jahr ist aus dem Flirt eine intensive Beziehung geworden, die nächsten, wirklich wahren Flitterwochen sollen im Sommer 2026 bei der Nordamerika-WM folgen. So lange läuft nun Nagelsmanns Vertrag, den er schon vor der EM verlängerte. Das Jubiläumsspiel findet, wenig glamourös, in Zenica statt. Vor nur rund 14.000 Zuschauern gegen Gastgeber Bosnien-Herzegowina (20.45 Uhr, RTL).

Was ist seit einem Jahr passiert zwischen East Hartford und Zenica? Ein Jahr Julian beim DFB ‒ eine Bilanz:

Die Fakten: Acht Siege, vier Unentschieden und drei Niederlagen in 15 Spielen. Bei der Heim-EM crashte das DFB-Team nach großer Euphorie und Siegen über kleine bzw. kleinere Gegner (Schottland, Ungarn, Dänemark) in der Verlängerung des Viertelfinals unglücklich gegen den späteren Turniersieger Spanien.

In der im September gestarteten Nations League holte man aus zwei Spielen vier Punkte, liegt auf Platz eins der Gruppe mit Bosnien-Herzegowina, den Niederlanden (2:2 in Amsterdam) und Ungarn (5:0 in Düsseldorf).

Nagelsmann hat mit der Nationalmannschaft wieder Euphorie ausgelöst

Sein Auftreten: Nagelsmann hat dem teils verstaubten Verband mehr Schwung, mehr Jugendlichkeit gebracht. Und aus der Tristesse nach vergurkten Turnieren (WM 2018, EM 2021, WM 2022) Aufbruchstimmung sowie Euphorie erzeugt. Mit Rhetorik und Taktik. Die Nationalelf ist wieder in, wieder beliebt. Die Fans fiebern mit, leiden mit ‒ das gab es lange nicht.

Er schaut über den Tellerrand hinaus, zieht gesellschaftspolitisch Parallelen zum Sportbetrieb. Seine Gedanken, verpackt in launige, aber relevante Sprüche, hallen nach. Das beste Beispiel: "Wenn ich dem Nachbarn helfe, die Hecke zu schneiden, ist er schneller fertig."

Seine Errungenschaften: Toni Kroos von einem Comeback im DFB-Trikot für wenige, aber intensive Wochen zu überzeugen, war der Schlüssel. Die dadurch bedingten Rochaden im System gingen auf: Kroos gab den Sechser, Joshua Kimmich rückte auf die Rechtsverteidiger-Position, Gündogan auf die Zehn.

Keiner murrte, keiner sperrte sich. Auch die klare Rollenverteilung des Kaders (wer ist Führungsspieler, Stammspieler, Ergänzungsspieler, etc.) fruchtete.

Toni Kroos (r) und Jamal Musiala (Archivbild).
Toni Kroos (r) und Jamal Musiala (Archivbild). © Tom Weller/dpa

Auch Nagelsmann machte als Bundestrainer nicht alles richtig

Seine Fehler: Zunächst holte er Mats Hummels zurück, um die Abwehr zu stabilisieren ‒ das ging schief. Hummels war raus. Auch das Experiment mit Angreifer Kai Havertz als Linksverteidiger war ein Fehlgriff.

Seine Vision: Unterstützt von Sportdirektor Rudi Völler, für ihn eine Art Vaterfigur, will er den WM-Titel 2026 gewinnen ‒ so seine mutige Ansage direkt nach dem EM-Aus. Nagelsmanns Credo: Alles ist möglich. Man muss es nur wollen und hart dafür arbeiten. Mit seinem Trainerteam hat er der Mannschaft die Lust am Erfolg vermittelt. "Wir vermitteln den Glauben ‒ und die Spieler glauben an sich", sagt er.

Sein neuer Kapitän Joshua Kimmich, im Amt seit den Rücktritten von Gündogan, Torhüter Manuel Neuer und Thomas Müller, bestätigte: "Man merkt, dass wir ein gutes Vertrauen in unsere Stärke haben." Nun gilt es, eine neue Hierarchie aufzubauen. Und die Euphorie fortzuführen.

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