Arroganz und Lernprozess: Schlotterbecks Lehren aus seinem DFB-Debüt

Sinsheim - Ein lockerer Länderspiel-Auftakt ins WM-Jahr, mit einem 2:0-Pflichtsieg gegen Israel. Bundestrainer Hansi Flick konnte acht Monate vor dem Start der Winter-WM in Katar seinen Startrekord ausbauen und steht nun bei acht Siegen in acht Partien.
Schludrigkeit in den letzten Minuten
Nach dem ersten WM-Casting gegen den dezent und harmlos auftretenden 77. der Weltrangliste stand jedoch die Schludrigkeit der letzten Minuten des Spiels im Vordergrund. Zunächst setzte der zur Pause eingewechselte Thomas Müller einen Elfer in der 89. Minute an den Pfosten, danach verursachte Debütant Nico Schlotterbeck einen Strafstoß, den Kevin Trapp, die Nummer drei im DFB-Tor, in der Nachspielzeit parieren konnte.
"Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden", meinte Flick: "Die Freude wäre ein bisschen getrübt gewesen, wenn wir am Ende das Gegentor bekommen hätten. Das muss ein Lernprozess für uns und auch für Nico sein, der ansonsten ein gutes Spiel gemacht hat."
Schlotterbeck: einer der Auffälligsten
Tatsächlich war der 22-jährige Schlotterbeck einer der Auffälligsten im DFB-Team. Der Innenverteidiger arbeitete aggressiv nach hinten, war in den Zweikämpfen bissig und machte das Spiel nach vorne schnell.
Seine Einordnung der Defensivleistung: "Wir standen von der Grundordnung hinten souverän, haben nicht viel zugelassen. Es war von uns ein ganz gutes Spiel. In der letzten Viertelstunde hatten wir zu viele Ballverluste."
Blackout in der Nachspielzeit
Der fünfte Debütant der Ära Flick war neben Leverkusens Jonathan Tah eine echte Empfehlung als Alternative zum wohl gesetzten Innenverteidiger-Pärchen Antonio Rüdiger (geschont) und Niklas Süle (verletzt). Wäre da nicht der Blackout in der Nachspielzeit gewesen. Im eigenen Strafraum verschluderte er beim Abspiel gegen Yonatan Cohen den Ball. Der Israeli konnte diesen wegspitzeln, Schlotterbeck nur noch dessen Fuß treffen - Elfmeter.
Flicks Analyse des Patzers
Nach Abpfiff nahm sich Flick sofort Schlotterbeck zur Seite. "Wir haben über die Situation gesprochen. Er hat das ganz klar so analysiert wie wir als Trainerteam, das ist schon mal ein guter Schritt", meinte Flick über den einsichtigen Linksfuß.
"Die letzte Aktion war hoffentlich eine gute Lehre für ihn. Er kann aber mit seinem Debüt wirklich zufrieden sein. Er hat ein gutes Spiel gemacht, war sehr präsent und aktiv." Einsicht und Selbstkritik sind stets die ersten Schritte.
Deutliche Wort von Per Mertesacker
"Das war einfach schlecht in der Situation", meinte der Freiburger. ZDF-Experte und Rio-Weltmeister Per Mertesacker wurde deutlicher: "So viel Zeit hat man nicht in Länderspielen, das war ein kleiner Arroganz-Anfall. In so einer Aktion brauche ich nicht nach links und rechts zu schauen, als hätte ich zehn Sekunden Zeit. Zwischen Selbstvertrauen und Arroganz gibt es eine ganz feine Linie."
Ist Schlotterbeck manchmal zu bequem
Schlotterbeck konterte keck: "Würde ich nicht sagen, das war eine Unkonzentriertheit, die mir nicht passieren darf. Ich muss mich bei Kevin bedanken, dass er den Elfmeter hält. So ist es noch ganz glimpflich für mich ausgegangen." Dabei hatte Flick schon so eine Vorahnung, betonte am Freitag, Schlotterbeck sei "manchmal noch zu bequem, dann nimmt er sich einen Tick zu sehr raus".
Aus Schaden wird man klug
Seine Forderung: "Aber dafür, wie wir Fußball spielen wollen, muss er immer aktiv sein." Gesagt, gepatzt. Aus Schaden wird man klug - und besser. Schlotterbecks Missgeschick nimmt Flick nun stellvertretend für die gesamte Mannschaft und den Lernprozess mit Blick auf die WM in Katar.
"Auf diesem Niveau muss man einfach 90 Minuten konzentriert sein. Man darf keine Fehler machen", mahnte der Bundestrainer. Denn, so die Warnung: "Bei einer Weltmeisterschaft kann so was in der 90. Minute tödlich sein."