Andreas Brehme im AZ-Interview: "...dann waren wir Weltmeister"

Andreas Brehme spricht über den Elfer im Finale 1990, warum Matthäus verzichtete, wie er den Schuss erlebte und wie er sein Leben veränderte.
von  Patrick Strasser
Der Jubel: Andreas Brehme wird von seinen Teamkollegen Jürgen Klinsmann, Rudi Völler, Stefan Reuter und Pierre Littbarski bestürmt.
Der Jubel: Andreas Brehme wird von seinen Teamkollegen Jürgen Klinsmann, Rudi Völler, Stefan Reuter und Pierre Littbarski bestürmt. © GES/Augenklick

AZ: Herr Brehme, mit rechts oder mit links? War das für Sie überhaupt eine Frage, mit welchem Fuß Sie Deutschland zum Weltmeister machen sollten?

ANDREAS BREHME: Mit rechts, keine Frage!

Haben Sie das – ich sage jetzt einmal „Foul“ – an Rudi Völler auf dem Platz gesehen?

Nein, ich stand zu weit weg. Wahrscheinlich halblinks an der Mittellinie.

Und das Foul?

Man konnte den Elfmeter geben, weil der Abwehrspieler blöd hingeht. Wenn man im Sechzehner so hingeht, muss man damit rechnen. Als wir die Aktion mit Rudi hinterher in der Kabine nochmal gesehen hatten, war das Gelächter groß, dann haben wir ihn hochgenommen: „Ey, Rudi, bist Du da zusammengebrochen?“

Nicht die einzig strittige Strafraum-Szene in diesem Finale.

Genau. Wir hätten schon vorher beim Foul an Klaus Augenthaler einen Elfmeter bekommen müssen, ganz klar.

Lesen Sie hier: Franz Beckenbauer: Der Doppel-Weltmeister

Der Schiedsrichter hat erst bei der Attacke gegen Völler auf den Punkt gezeigt – in der 85. Minute. Was passierte nach dem Pfiff?

Dann war Chaos.

Bei wem?

Na, bei mir nicht. Ich war ganz ruhig.

Was meinen Sie?

Alle Argentinier sind zum Schiri und haben ihn bedrängt.

Während man im deutschen Team eine Entscheidung treffen musste: Wer schießt?

Wir hatten drei Schützen vereinbart: Lothar Matthäus, Rudi Völler und mich. Rudi ist gefoult worden und der Gefoulte schießt nicht. Lothar hat mir signalisiert, ich solle zum Punkt gehen. Er hat ein paar Schritte zurückgemacht, da war mir schnell klar, was das bedeutete.

Später erklärte Matthäus, er habe sich nicht sicher gefühlt, weil er aus seinem Schuh Stollen herausgebrochen waren. Hatten Sie das während des Spiels mitbekommen?

Nein.

Hatten Sie sich nicht gewundert? Warum schießt Matthäus jetzt nicht? Es war doch eine einmalige Chance.

Sein Verzicht hat nichts mit Angst zu tun, sondern mit der Frage, ob man sich sicher fühlt oder nicht. Ich finde es ungerecht, wenn manche Leute ihm vorwerfen, er habe sich in die Hosen gemacht, hätte Angst gehabt. Nein. Lothar hat eine Weltklasse-WM gespielt und in diesem Moment die richtige Entscheidung getroffen. Denn hier ging es nicht um persönliche Eitelkeiten, sondern um uns, um die Mannschaft – und um eine ganze Nation. Das war sehr korrekt, sehr fair von Lothar. Ich weiß gar nicht, warum sich die Leute heute immer noch darüber Gedanken machen – 25 Jahre danach.

Lesen Sie hier: Thomas Berthold: "Es gab die übelsten Gesänge"

Hatten Sie eigentlich mal zur Ersatzbank mit Teamchef Franz Beckenbauer geschaut?

Ja, Franz hat mir gezeigt, ich solle den Elfmeter schießen und hingehen. Ich fühlte mich auch relativ sicher.

Relativ? Nicht zu 100 Prozent?

Nein, das gibt es nicht.

Der Weg war ziemlich weit zum Punkt, nicht?

Auf alle Fälle, ja.

Kam da nicht plötzlich das Heer der Gedanken? Es handelte sich ja um ein WM-Finale.

Zunächst einmal hatte ich mitdiskutiert. Es war ja unfassbar, wie die Argentinier auf den Schiedsrichter losgegangen sind. Die hätten ja da schon mehrere Rote Karten bekommen müssen, so haben sie ihn bedrängt und attackiert, sogar weggeschubst. Ich hatte ein ganz anderes Problem.

So? Was denn?

Ich musste unendlich lange warten, bis ich endlich den Elfmeter ausführen konnte.

Wie lange hat das Ganze gedauert?

Sieben, acht Minuten, glaube ich. Du legst dir den Ball hin, dann kommt einer der Argentinier und schießt ihn weg. Der Schiedsrichter hat nichts gemacht, keine Gelbe Karte gezückt. Ich habe mir den Ball dann genommen, bin ein paar Schritte zurück und habe abgewartet, bis das ganze Theater rund um den Schiedsrichter vorbei war.

Hat Ihnen dann irgendjemand etwas zugerufen?

Rudi Völler. Der sagte zu mir: „Andy, wenn du den reinmachst, sind wir Weltmeister.“ Da hab ich geantwortet: „Danke, mein Freund, danke für den Hinweis, das weiß ich auch!“ Meine Güte, das war wohl der Spruch des Jahrhunderts.

In welchem Moment haben Sie sich für die Ecke entschieden?

Als ich mir den Ball hingelegt habe. In die linke Ecke.

Denkt man, so ganz kurz vor der Ausführung, noch an irgendetwas anderes?

Du bist total im Tunnel. Du bist einzig und allein konzentriert auf den Schuss. Der muss reingehen. Feierabend.

Lesen Sie hier: Illgner: "Der Pokal war so klein – und doch so schwer“

Sie haben den Ball ganz klar mit der Innenseite geschossen.

Wenn du halbhoch schießt, hat der Torhüter die besten Chancen, den Ball zu halten. Und wenn du die Kugel hoch oben in den Winkel zimmern willst – puh, das ist schon ein Risiko.

Haben Sie in dem Moment, als sie den Ball getroffen haben, gespürt: Ja, der ist es!

Ja, weil ich ihn gut getroffen habe, richtig gut. Ich hatte das Ding richtig gut auf der Pfanne – und dann waren wir alle froh, dass er drinne war.

Wenn man sich die Bilder des Torjubels anschaut, dann muss man ja froh sein, dass Sie unverletzt geblieben sind...

…und dass ich nicht erstickt bin. Da hatte ich echt ganz kurz Beklemmungen. Auf einmal lagen alle auf mir drauf. Es war eben für jeden eine riesengroße Erleichterung.

Haben Sie damals schon realisieren können, was dieser Elfmeter für Ihre weitere Karriere bedeuten würde?

Nein. Du bist einfach mit dem beschäftigt, was auf dem Platz passiert. Erst ein paar Tage später kam das langsam, als ich im Urlaub auf Sardinien war.

Hat dieser eine Schuss Ihr Leben geprägt?

Total. Die Leute reden heute noch von dem Spiel.

Gibt es ein Tag, an dem Sie nicht auf das Finale angesprochen werden?

Nein, normalerweise nicht. Das muss man wirklich sagen – ja. Ob beim Einkaufen, am Flughafen oder irgendwo im Stadion.

Nervt das manchmal?

Ist schon okay.

Haben Sie sich mit Mario Götze unterhalten? Er ist der zweite deutsche Nationalspieler, der bei einem 1:0 im WM-Finale das entscheidende Tor gemacht hat – auch noch gegen Argentinien, im Sommer 2014.

Und was für ein Tor! Dieser Ball war ja so was von schwer zu verwandeln. Das wird ihm ewig bleiben. In 25 Jahren werden die Leute ihn dann auch fragen, wie er das damals gemacht hat.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.