Interview

Alfred Dorfer im AZ-Interview: "Österreich ist die einzige Nation, die diese WM moralisch boykottiert hat"

Die Kabarett-Legende Alfred Dorfer wirft in der AZ einen nicht immer ernst gemeinten, aber stets entlarvenden Blick auf die Katar-WM.
von  Matthias Kerber
"Diese Offenkundigkeit von Haltungslosigkeit, Charakterlosigkeit ist erstaunlich. Eigentlich ist mehr die Dreistigkeit das Phänomen als die Sache an sich", sagt Kabarettist Alfred Dorfer über die WM.
"Diese Offenkundigkeit von Haltungslosigkeit, Charakterlosigkeit ist erstaunlich. Eigentlich ist mehr die Dreistigkeit das Phänomen als die Sache an sich", sagt Kabarettist Alfred Dorfer über die WM. © imago images/Future Image

WM-Gespräch mit Alfred Dorfer: Der Österreicher (61) ist einer der renommiertesten Kabarettisten im deutschsprachigen Raum.

AZ: Herr Dorfer, wie stolz sind Sie, der österreichische Vorzeige-Kabarettist, dass Ihr Vaterland die WM in Katar, wo man Homosexualität als "geistigen Schaden" deklariert und Arbeitssklaven eingesetzt hat, boykottiert, in dem man sich nicht qualifiziert hat?
ALFRED DORFER: Da muss ich Sie ein bisschen korrigieren: Es war kein sportlicher Boykott, sondern ein moralischer. Wir waren von Anfang an angesichts der Menschenrechtsverletzung überzeugt, dass diese schmutzige WM ohne uns stattfinden muss. Wir sind die einzige Nation, die sich ausschließlich aus moralischen Gründen entschieden hat, dass diese WM ohne unseren Segen stattfinden muss. Dass wir als Fußball-Großnation uns sportlich qualifiziert hätten, steht ja außer Frage.

In einer Welt, in der man verzweifelt nach wirksamen Sanktionen gegen Autokraten sucht, ist der Boykott Österreichs, des Fast-Europameisters, und von Europameister Italien ein Statement, oder?
Das stimmt. Bei uns ging es bei der EM 2021 im Spiel gegen Italien beim aberkannten Tor von Arnautovic um Zentimeter, daher ist Fast-Europameister richtig. Aber man muss genau differenzieren und etwas klarstellen, damit keine Legendenbildung einsetzt. Bei Italien waren es ausschließlich sportliche Gründe. Das war reine sportliche Unfähigkeit, was man uns ja sicher nicht unterstellen kann.

"Es war von Anfang an klar, wie unsinnig diese WM ist"

Zur österreich-freien WM: Hier empfehlen uns die Politiker, angesichts der Energiekrise Pullover anzuziehen und im Wüstenstaat Katar werden die Stadien heruntergekühlt.
Das ist dieselbe Heuchelei wie bei den Elektroautos. Wir schauen, dass es bei uns in den Innenstädten wenig Abgase gibt und lagern unseren Dreck in Ländern, die ohnehin genug Probleme haben, wie Chile, aus. Es war von Anfang an klar, wie unsinnig diese WM ist. Wir erinnern uns an die Vergabe, das war in einem Aufwasch: Russland und Katar. Russland wusste man, das ist politisch vielleicht problematisch, dafür brauchte man weder große Kenntnisse noch eine Glaskugel. Und Katar? Da war man überrascht. Das ist, als würde man eine Ski-WM in Kenia machen. Es drängte sich der Verdacht auf, dass manch anderes Kriterium in die Entscheidung eingeflossen sein könnte. Es ist sehr schön, dass das Wort Geldfluss, den Gedanken des Einfließens aufnimmt.

Es hat ein Polit-Tourismus nach Katar eingesetzt, um sich Zuneigung und Gas zu sichern. Österreich verkauft seine Moral lieber in Ibiza, wie die Affäre um Vizekanzler Heinz-Christian Strache gezeigt hat.
Bei uns läuft vieles anders. Die Psychologie spricht von Ambiguitätstoleranz. Das heißt: Viele Phänomene in unserer Welt haben zwei Gesichter, die kann man auch äquivalent nebeneinander stehenlassen. Manchmal stehen Dinge für sich, sie bedürfen schlicht keiner Wertung, denn die Sache an sich beinhaltet die Wertung.

Wie werten Sie die Aussagen von Uli Hoeneß, der Katar-Kritiker als "Könige der Heuchelei" diffamiert hat?
Hoeneß weiß aus eigener Erfahrung, wie es bestellt ist um Freiheitsentzug light. Wo man sagt, ich bin Gefangener, darf aber dann halt doch zum Wochenende raus. Daher ist er der absolute Fachmann, wenn es um Heuchelei geht. Entschuldigung, ein Versprecher, es geht ausschließlich um Vermeidung von Heuchelei. Ich bitte um Entschuldigung.

Selbst Franz Beckenbauer, der für seinen investigativen Einsatz bekannt ist, hat in Katar keine Sklaven gesehen. . .
Das liegt daran, dass Beckenbauer noch glaubt, dass die Sklaven so aussehen, wie in den alten Ben-Hur-Filmen. Da er solche nicht gesehen hat, kann es keine geben. Er hat vielleicht Arbeiter in der Wüste gesehen, die aber nicht wie echte Ben-Hur-Sklaven, ausgesehen haben. Ich fürchte aber, dass die Mode der Sklaven sich im Laufe der Jahrhunderte leicht verändert haben dürfte.

Uefa-Boss Gianni Infantino hat einen Brief an die WM-Beteiligten verfasst, in dem er dazu auffordert, "sich nicht vor einen politischen Karren spannen zu lassen. . ."
Das ist Realsatire, ich ziehe den Hut. Wenn man schon Infantino heißt, ich halte das weiter für einen Künstlernamen, muss man so argumentieren. Ein Infantino würde sich nie vor einen Karren spannen lassen! So wie auch einer seiner Vorgänger, Sepp Blatter. All diese Geschichten sind frei erfunden.

Fake News also!
Ich denke, dass Katar immer schon ein Vorzeigeland war, was Demokratie und Eigenständigkeit betrifft, da bin ich ganz bei Herrn Infantino.

Die Liebe zu Katar: Steuerbefreiungen ein Grund?

Der ist sogar dort hingezogen.
Ich glaube, diese Liebe zu Katar, einer Demokratie besonderer Ausprägung, hat mit Steuerbefreiungen ganz grundsätzlich sehr viel zu tun.

Greenwashing der Seele.
Es ist sicher nicht leicht, eine weiße Weste zu tragen, sobald man eine Machtposition hat. Das Überraschende ist die Offenkundigkeit von Amoral. Nein, jedes Wort, das den Teil Moral beinhaltet, ist der falsche Begriff. Lassen Sie mich umformulieren: Diese Offenkundigkeit von Haltungslosigkeit, Charakterlosigkeit, ist erstaunlich. Eigentlich ist mehr die Dreistigkeit das Phänomen als die Sache an sich.

Infantino, der Meister Proper der Pseudomoral?
Der Herr ist ein Reinwascher für alles. Der wäscht so rein, dass Moral danach weder als Amoral noch Pseudomoral existiert. Wenn man ein Wäschestück so wäscht, dass am Ende keines mehr da ist, ist es nicht mehr schmutzig.

Fifa, Uefa, Mafia - das klingt alles verwirrend ähnlich. . .
Es hat sich offensichtlich immer noch nicht in das Bewusstsein der Menschen geschlichen, dass diese Fußball-Verbände irgendwie keine Kirchen sind.

Ob gerade die Kirchenwelt das richtige Gegenbeispiel ist?
Ein bisschen ketzerisch, der Einwurf. Ich meine Kirchen halt im Sinne von Kirchen, was man positiv annimmt, nicht die gelebte Realität. Bei der Fifa werden jetzt nicht Chorknaben - ich sage mal - zu liebevoll behandelt, aber da gibt es ganz viele andere Verfehlungen.

Es gibt das Versprechen, dass die Rechte der LGBTQ-Gemeinde in Katar geachtet werden. Anderseits spricht der WM-Botschafter von "geistigem Schaden" bei Homosexuellen.
Die Zusicherung ist sicher sehr viel wert. Oder anders gesagt, was haben wir darüber gelacht, oder uns eigentlich gewundert, mit diesem sarkastischen Lächeln im Gesicht.

Kurt Tucholsky hat gesagt, Satire darf alles. Wenn man sich anschaut, wie der Sport sich geriert, könnte man umformulieren: Sport darf alles.
Wenn man von Spitzensport redet - das kann man auf Fis, Fifa, IOC umlegen -, die dürfen alles. In deren Vorstellung. Viele Menschen verdrängen diese Erkenntnis aber. Das ist ja bei uns in Österreich eine bewährte Tradition. Es gibt den schönen Spruch, dass Unwissen auch glücklich macht, das darf man nicht vergessen.

Sie sind kein Freund dieses Tucholsky-Satzes.
Ich hoffe, und nehme es einfach mal an, dass Tucholsky diesen Satz ironisch, satirisch gemeint hat. Warum sollte innerhalb einer Demokratie ausgerechnet die Satire autokratische Züge haben? Das ist ein unauflösbarer Widerspruch in sich.

Es heißt gerne, der Sport muss unpolitisch sein. Kann er das denn überhaupt sein?
Das hat zwei Gesichter. Sport kann bis zu einem gewissen Grade nicht unpolitisch sein, weil er sich immer gewisser Dinge bedient, die eigentlich als rückständig gelten. Ein Beispiel: Was wäre eine WM ohne eine gewisse Form des Nationalismus? Ohne diesen könnte man gleich bei der Champions League bleiben, wo die Gladiatoren aller Länder gegeneinander antreten. Die zweite Geschichte ist, dass immer mehr politische News, die Sportereignisse konkurrenzieren. Wenn ein Sportler eine antisemitische Aussage macht, wird nur darüber geredet. Diese Politisierung des Sports wird auf eine Spitze getrieben, die - meiner Ansicht nach - für alle, die am Sport, dem Ergebnis interessiert sind, übertrieben ist.

Freuen Sie sich auf die WM und Neymars Schauspielerei?
Bei Neymar ist es so, dass Schauspielerei am Arbeitsplatz ein Intelligenzproblem ist, weil man erkennen müsste, wann es zu viel ist. Aber das erfordert Einsicht und dafür ist Intelligenz oft hilfreich. Gefreut habe ich mich eher über die Frauen-EM. Ich finde es großartig, wenn man ein Match ohne Zeitschinden, ohne Theater bei jeder Körperberührung sieht. Fußball aus einer anderen Welt - so wie er mal gedacht war.

Russland 2018, Katar 2022 - wann ist Nordkorea in Ihren Augen reif für eine WM?
Es kommt darauf an: Wenn der Nordkoreaner, der kleine Machthaber, gewisse Dinge scheinbar zusichert - die Betonung muss auf scheinbar liegen -, etwa, dass er umweltverträgliche Atomraketen baut, dann könnte das bald wunderbare Wirklichkeit werden.

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