Franz Klammer im AZ-Interview: "Die Fahrer sind total abgeschirmt"

AZ-Interview mit Franz Klammer: Der Olympia-Triumph 1976 der österreichischen Ski-Legende (68) wurde letztes Jahr verfilmt ("Chasing the line") und läuft nun beim Streamingdienst Netflix.
AZ: Herr Klammer, am Wochenende beginnt mit dem Riesenslalom in Sölden die Ski-Weltcup-Saison. Interessiert Sie das noch? Wie nah sind Sie dran am Rennlauf?
FRANZ KLAMMER: Sehr nah, das interessiert mich nach wie vor sehr. Wenn's irgendwie geht, schaue ich mir jedes Rennen an. Mir ist nur der Zeitpunkt für das erste Rennen zu früh. Mitte November wäre besser. Die Rennläufer tun mir leid: Die müssen praktisch mitten in der Vorbereitung ein Rennen fahren.
Franz Klammer: "Kitzbühel ist das beste Rennen"
Und das gleich auf so einem schwierigen Hang.
Schon, aber dann weiß man gleich, wo man steht!
Welche Weltcup-Rennen schauen Sie sich vor Ort an?
Kitzbühel. Und heuer werd' ich nach Gröden fahren, weil wir da irgendein Jubiläum haben. Letztes Jahr war ich in Wengen - das war auch sehr nett. Und Beaver Creek, um die Zeit bin ich eh meist in Amerika drüben.
Hatten Sie früher eine Lieblingsstrecke?
Kitzbühel natürlich! Ist das beste Rennen.
Und das schlimmste!
Ich das habe das nie als schlimm empfunden, hab' oben beim Wegfahren immer eine Freud' gehabt.

Das haben Sie aber exklusiv! Die erste Abfahrt des Winters soll heuer in Zermatt zu Füßen des Matterhorns stattfinden - Downhill vor prima Kulisse. Hatten Sie das mal?
In der Jugend und im C-Kader haben wir im November immer in Cervinia trainiert.
"Wengen ist einfach was ganz Spezielles"
Die schönste Kulisse im Weltcup?
Wengen! Das ist einfach was ganz Spezielles. Das Berner Oberland ist schon ein Traum. Und die ganze Atmosphäre! Man fährt immer noch mit der Zahnradbahn auffi - da ist echt die Zeit stehengeblieben. Vor 40 Jahren hat es da genauso ausgeschaut wie jetzt noch.
Wenn Sie es sich aussuchen könnten: Würden Sie lieber noch mal in der guten alten Zeit fahren oder doch eher im Hier und Jetzt?
Aus finanzieller Sicht müsste ich jetzt fahren, aber wegen dem Spaß in der alten Zeit. Wir hatten eine gute Rivalität damals, es war einfach schön, mit dem ganzen Tross zu reisen. Heute ist es teilweise eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, wenn einige mit dem Heli von A nach B geflogen werden. Das hat es bei uns nicht gegeben, und das hat uns einfach zusammengeschweißt. Und man konnte früher mehr aus einem Lauf herausholen, weil die Pisten schwierig und uneben waren. Wer mehr Mut hatte, ist schneller gefahren. Heute sind die Bedingungen total gleich, deshalb ist es irrsinnig schwer, die ein oder andere Hundertstelsekunde herauszufahren. Vielleicht ist das Gewinnen heute schwieriger als damals.
Nach Ihrem Olympiasieg in Innsbruck 1976 haben die Fans Ihnen auf der Piste fast die Kleider vom Leib gerissen, so offen und zugänglich war das alles.
Heute sind die Fahrer total abgeschirmt, da kommt keiner an die ran. Das ist alles steril. Früher war schon mehr Emotion drin. Die Zuschauer sind damals ja auch wirklich wegen des Rennens gekommen - heute kommen viele ja nur wegen der Party.
"Für uns Rennfahrer hat es die Grenzen gar nicht gegeben"
Der Schweizer Bernhard Russi war in den Siebzigern Ihr ewiger Konkurrent, wollte 1976 unbedingt seine zweite Goldmedaille in der Abfahrt holen, musste sich aber mit Silber begnügen. Dennoch sagte er danach, dass Sie nicht nur der beste Fahrer waren, sondern auch sein bester Freund. Das geht doch runter wie Öl, oder?
Es ist wunderschön, was ich aus dem Skisport rausgeholt habe: Freundschaften wie mit Russi oder auch dem Deutschen Michael Veith. Wir sehen uns oft, gehen gemeinsam radeln, waren gerade zusammen auf der Wiesn. Der Veithi kommt auch immer zu meiner 'Tour de Franz', so eine Charity-Ausfahrt, die ich veranstalte.
Wie war das damals mit den Piefkes? Sepp Ferstl war noch dabei, Peter Fischer aus Oberstdorf, Christian Neureuther, Rosi Mittermeier. . .
Da gab es überhaupt keine Rivalität. Für uns Rennfahrer hat es die Grenzen gar nicht gegeben. Wir hatten Spaß mit den Schweizern, den Deutschen, den Südtirolern, mit den Norwegern und Schweden haben wir uns wegen der Sprache schwerer getan, aber generell haben wir uns alle gut verstanden. Es wollte halt nur jeder schneller sein wie der andere, aber das ist ja legitim, oder?
Und man konnte noch feiern: ohne die Angst, auf Social Media bloßgestellt zu werden.
Gott sei Dank! Aber damals haben die Zeitungen noch ganz wenig über Society berichtet. Aber die Journalisten waren ja alle dabei, hatten sehr viel Insiderwissen, haben aber nichts davon geschrieben. Das haben wir auch sehr geschätzt.
Vor einem Jahr hatte der Film "Chasing the line" über Ihren Triumph bei Olympia 1976 in Innsbruck in Österreich Premiere, kommende Woche läuft der Streifen auf Netflix an. Wie gefällt er Ihnen?
Am Anfang war es ein bissl komisch, weil ich ja nicht selber spiele, sondern ein Schauspieler. Ich habe ja nur das Thema vorgegeben. Aber vom Ergebnis bin ich sehr begeistert. Es ist ja schon so etwas wie ein Vermächtnis.
"Auf den alten Dingern kriegst du ja keine Kurve mehr zusammen"
Wie gut steht der Klammer-Darsteller auf dem Ski?
Gut! Er ist ein paar Vereinsrennen gefahren, aber für die Rennszenen hatten wir einen Stuntfahrer.
Keinen Geringeren als Super-G-Weltmeister und zweifachen Streif-Sieger Daron Rhalves!
Er hat sich so schwergetan, den Klammer-Style zu fahren! Ich hab' ihm immer gesagt: 'Du musst mehr mit den Armen rudern!'
Und das auf den alten, schmalen Latten fast ohne Taillierung!
Das ist das einzige im Film, was nicht ganz original ist. Auf den alten Dingern kriegst du ja keine Kurve mehr zusammen. Der Daron ist schon mit taillierten Skiern gefahren. Aber die Skier waren nicht das Problem, sondern die Schuhe. Das waren ja mehr oder weniger Bergschuhe aus Leder.
Welche Botschaft will der Film vermitteln?
Eigentlich ganz einfach: Wenn man an sich glaubt, ist vieles möglich, auch ein Olympiasieg.