Frank Busemann: "Sauberen Sport gibt es nicht..."
"...aber sehr wohl den sauberen Sportler", sagt Zehnkampf-Ikone Frank Busemann vor Beginn der Leichtathletik-WM im AZ-Interview.
Der 40-Jährige war Zehnkämpfer und gewann bei Olympia 1996 Silber, wurde zum Sportler des Jahres gewählt. 1997 holte er WM-Bronze, 2003 beendete er dann die Karriere.
AZ: Herr Busemann, die WM der Leichtathleten hat in Peking begonnen. Dem Ort, an dem die deutschen Athleten bei Olympia 2008 ihre schwärzesten Stunden erlebt und nur Christina Obergföll mit Bronze im Speerwurf die Medaillen-Nullnummer verhindert hat. Da waren Sie mit Silber bei Olympia 1996 in Atlanta ja im Alleingang besser.
FRANK BUSEMANN: Das Jahr der Finsternis. Ich habe mich entschieden, mir eine Teil-Amnesie für diese Spiele zu gönnen, mich an nichts zu erinnern. Wir haben wieder ein paar Sportler, die für eine schöne WM für uns sorgen werden. Und was meine eigene Medaillenbilanz angeht, die ist ja auch überschaubar. Da hat man mit dem Zählen nicht so wirklich die Probleme, die Finger einer Hand reichen ja gut aus und es bleiben am Ende sogar noch ein paar übrig.
Einmal Olympia-Silber, einmal WM-Bronze.
Das stimmt mit meiner Rechnung überein. (lacht)
Trotzdem sind Sie immer noch einer der bekanntesten deutschen Leichtathleten.
Ich frage mich auch fast jeden Tag: Was ist da schiefgelaufen, dass die Leute mich immer noch kennen? (lacht)
Auf welche Disziplinen freuen Sie sich besonders?
Ich bin voreingenommen: Zehnkampf. Ansonsten Stabhochsprung, Weitsprung, Kugelstoßen, Diskus, Laufen. . .
Also alles.
Richtig! Das ist mein Sport. Ich bin auch als Experte vor Ort für das „Morgenmagazin“ tätig, mein Chef hat schon gesagt: „Wehe, du hängst nur jeden Tag bei den Wettkämpfen rum, du musst auch arbeiten.“
Welchen deutschen Athleten trauen Sie besonders viel zu?
David Storl und Christina Schwanitz im Kugelstoßen, Raphael Holzdeppe im Stabhochsprung. Mal sehen, wer uns noch überrascht. Deutschland wird sich gut verkaufen, wir reden natürlich nicht mehr von zehn Medaillen oder Platz zwei, drei in der Nationenwertung. Die Zeiten sind vorbei, aber es wird kein Debakel.
Wie sehr fehlt ein Robert Harting? Der exzentrische Diskus-Weltmeister, der verletzungsbedingt nicht startet.
Den Typen kannst du nicht ersetzen. Seit Jahren steht er für die deutsche Leichtathletik wie kein Zweiter. Das in einer Disziplin, die kein Selbstläufer ist. Es ist Diskus, nicht der 100-Meter-Lauf. Hätten wir drei, vier Hartings, würde die Leichtathletik in Deutschland anders dastehen. So haben wir einen Harting, eine Galionsfigur, der das Land der Dichter und Denker zu einer Nation der Diskuswurf-Freunde gemacht hat.
Kann jemand seinen Platz in Peking einnehmen?
Nein, er ist einzigartig. Ich fände es verwerflich, wenn plötzlich einer sich im Stadion aufführen würde wie er, der Hulk Hogan der Leichtathletik. Ich kann nur allen Athleten raten: Lasst die PR-Berater mal PR-Berater sein. Seid ihr selbst. Harting ist so, der spielt nix.
Also sollen Holzdeppe und Schwanitz nicht das Trikot zerreißen?
Würden sie’s schaffen? Die Trikots sind sehr stabil. Aber um die Frage zu beantworten: Nein, das darf nur Harting.
Kommen wir zu einem anderen Thema, das die Leichtathletik nicht loslässt: Doping.
Man muss sagen, dass die Leichtathletik nicht viel dafür tut, diesen Schatten loszuwerden. Aber die Unverfrorenheit, mit der manche sich weiter vollpumpen, hat mich überrascht. Ein guter Freund hat nur zu mir gesagt: „Hallo, Frank, schön, dass du endlich in der Realität angekommen bist.“ Er hat mich an eine Begebenheit bei der WM 2003 erinnert, als wir beide an einer U-Bahn-Station standen. Vor uns ein paar Monster mit unmenschlichen Nacken. Wir haben sogar Fotos gemacht, weil wir nicht sicher waren, ob das Männlein oder Weiblein waren.
Und was waren es?
Etwasse. Man darf sich nichts vormachen, die ein Prozent der Athleten, die erwischt werden, bilden nicht die Realität ab. Spätestens seit Superstar Marion Jones überführt wurde, weiß man, dass auch 160 negative Tests nicht heißen, dass man sauber ist. Die Dopingindustrie entwickelt sich weiter. Früher wusste man, wenn einem die Muskelberge entgegenkommen, dass die Chance gut ist, dass sie voll bis zur obersten Haarspitze sind. Heute geht Doping nicht mehr in unkontrolliertes Muskelwachstum, sondern direkt in die Leistung.
Ist die Leichtathletik der neue Radsport?
Wenn wir es noch nicht sind, dann sind wir zumindest direkt auf dem Weg dorthin. In der öffentlichen Wahrnehmung ist es schon so, wenn einer besondere Leistungen bringt, dass man sagt, der ist gedopt. Das ist bei uns nicht anders als im Radsport, der Generalverdacht ist da. Ich kann keinem einen Vorwurf machen, der so denkt, der mir sagt, dass er nicht glaubt, dass ich sauber war. Deswegen sage ich auch selber, dass ich für keinen die Hand ins Feuer lege.
Gab es Reaktionen darauf?
Harting hat mich angerufen. Ich hatte erst Angst, als mir gesagt wurde, dass er nach meiner Nummer gefragt hat, aber wir hatten ein tolles Gespräch. Er war enttäuscht, dass er mit allen in einen Topf geworfen wurde und ich habe ihm erklärt, dass es mir genauso geht, aber ich auch in dem Topf bin. Das ist enttäuschend, traurig, aber es ist die Realität. Das hat er akzeptiert. Ich bin mir sicher, dass es den sauberen Sport nicht gibt, aber sehr wohl saubere Sportler. Harting ist durch den Anruf in meinem Ansehen noch gewachsen. Der ist jetzt mindestens drei Meter groß. Er ist stets gerade heraus, hintenrum gibt’s bei ihm nicht.
Was sagen Sie zum 100-Meter-Lauf mit Usain Bolt und vielen überführten Dopern?
Wenn ich Leute wie Tyson Gay, Justin Gatlin oder Asafa Powell sehe, stellt es mir alle Nackenhaare auf. In keiner Disziplin sind wir näher am Radsport dran als beim 100-m-Lauf. Und das seit den 80ern, als von acht Läufern im Olympia-Finale sieben nachweislich gedopt waren. Zu Bolt: Bei ihm läuft die Ungewissheit mit, er ist ein Mysterium. Dabei will ich es belassen. Insgesamt muss die Leichtathletik es schaffen, den Ruf als ehrbare Sportart wieder herzustellen. Fragen Sie mich aber nicht, wie! Ich habe keine Antwort. Vielleicht hat der neue Verbandsboss Sebastian Coe eine.
Der fiel bisher eher mit Kritik an den Doping-Enthüllern auf.
Ich sagte auch nur, vielleicht fällt ihm eine Antwort ein. Was das für eine ist, mal sehen.
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