Interview

Frank Busemann: "Diesen Olympischen Spielen fehlt der Zauber"

Deutschlands Zehnkampf-Ikone Frank Busemann spricht exklusiv in der AZ über das Event in Tokio im Zeichen der Corona-Pandemie, über Exzesse im Athletendorf und die Schönheit der Naivität.
von  Matthias Kerber
„Die Spiele haben jegliche Leichtigkeit verloren und ohne Zuschauer sind sie einfach nicht das Gleiche“, sagt Leichtathletik-Ikone Frank Busemann.
„Die Spiele haben jegliche Leichtigkeit verloren und ohne Zuschauer sind sie einfach nicht das Gleiche“, sagt Leichtathletik-Ikone Frank Busemann. © Michael Kappeler/dpa/dpa

AZ-Interview mit Frank Busemann: De 46-Jährige holte 1996 bei Olympia sensationell Silber im Zehnkampf. Er arbeitet jetzt als ARD-Experte.

Der ehemalige Zehnkämpfer Frank Busemann bei der Vertragsunterzeichnung der Special Olympics World Games 2023 im Schloss Bellevue.
Der ehemalige Zehnkämpfer Frank Busemann bei der Vertragsunterzeichnung der Special Olympics World Games 2023 im Schloss Bellevue. © Jörg Carstensen/dpa

AZ: Herr Busemann, Sie, der Silbermedaillengewinner im Zehnkampf bei den Olympischen Spielen 1996, sind jetzt bei Olympia in Tokio vor Ort. Kommt bei Ihnen ganz persönlich Vorfreude auf? Schließlich findet Olympia aufgrund der Corona-Pandemie als Geister-Spiele ohne Zuschauer statt.
FRANK BUSEMANN: Nun, es ist halt immer noch Olympia, mein großer Kindheitstraum. Ich erinnere mich noch an Olympia 1984, als ich die Spiele in Los Angeles so richtig bewusst erlebt habe und von diesem Rocketman so begeistert war, dass ich mir gesagt habe, was ist das für ein geiles Ereignis. Aber wir müssen nicht drumherum reden, diese Spiele sind anders, als wir sie bisher kannten. Die Olympischen Spiele haben jegliche Leichtigkeit verloren und ohne Zuschauer sind sie einfach nicht das Gleiche. Vieles von dem - und da oute ich mich als Romantiker -, was Olympia ausmacht, wird es in Tokio nicht geben. Es wird sich kein Marathonläufer - nur getragen von den Emotionen und Anfeuerungen der Zuschauer im Stadion - entkräftet ins Ziel schleppen, es wird auch nicht der Letzte noch gefeiert werden. Es wird einfach Stille herrschen. Ein großes Nichts.

Wie geht man als Athlet damit um?
Ein bisschen Zeit hatten ja alle, sich daran zu gewöhnen in den letzten knapp zwei Jahren. Aber die Sportler brauchen schon ein richtig dickes Fell für solche Wettkämpfe. Wenn man es mit Humor nehmen will, dann ist es eine Zeitreise in die Jugend. Als man bei irgendwelchen Kreismeisterschaften als einzige Zuschauer seine Eltern hatte und es schon das höchste aller Gefühle war, wenn Oma und Opa auch noch da waren. Der Zauber von Olympia fehlt natürlich völlig, ja. Wir werden kein fremdes Land und die Leute kennen- und liebenlernen. Denn die Menschen werden einfach nicht da sein.

"Es gibt auch die Hallodris, die vom Chaos, der puren Emotion leben"

Es gibt Athleten, die gerade von den Emotionen der Fans gepusht werden und dann erst richtig funktionieren.
Ja, es gibt eigentlich zwei Arten von Sportlern. Einerseits, die, die alles mit Bedacht machen, die sich akribisch vorbereiten und bei denen eher der Kopf entscheidet. Dazu habe ich eher gehört. Aber es gibt auch die Hallodris, die vom Chaos, der puren Emotion leben, die das brauchen, die in ihren Tunnel erst finden, wenn die Zuschauer toben. Das sind die Athleten, die oft für die größten Überraschungen, die Sensationen sorgen. Ich fürchte, davon werden wir sehr viel weniger hier in Tokio sehen.

Hätte man bei all dem nicht lieber auf die Ausrichtung der Spiele verzichtet? Man hat sehr das Gefühl, dass - genau wie bei der Fußball-EM - nicht der Sport, sondern der Kommerz bei dieser Entscheidung im Vordergrund steht.
Ich verstehe beide Seiten und bin da auch wirklich hin- und hergerissen. Auf der einen Seite: Wir sind nur ein Sport, nicht mehr. Und im Angesicht von Corona die Gesundheit und auch das Leben von Menschen zu riskieren, geht eigentlich gar nicht. Wie es bei der Fußball-EM gelaufen ist, war es verantwortungslos. Da drängen sich über 60.000 Fans ohne Masken im Stadion, umarmen sich und das Virus freut sich. Und die Einzigen, die wirklich dauernd getestet wurden, die Spieler und Trainer, die müssen Masken tragen und möglichst drei Plätze zwischen sich lassen. Das war schizophren. Jetzt ohne Zuschauer zu agieren, ist aus der Warte richtig, aber es ist halt einfach nicht das Olympia, das wir kennen und lieben.

Und was spricht in Ihren Augen für eine Austragung der Spiele? Die Bevölkerung in Japan ist ja auch ziemlich einhellig dagegen.
Nun, ich weiß halt auch, wie viel die Sportler investiert und geopfert haben, um ihren Olympiatraum erleben zu können. Die Chance gibt es eben nur alle vier Jahre, das heißt für viele einmal im Jahr - und nie wieder. Ich kenne Sportler, die als Menschen daran zerbrochen sind, dass dieser Traum für sie geplatzt ist. Und man darf auch nicht vergessen, dass da draußen ganz viele Kinder sind, die sich Olympia anschauen und dann entscheiden, das ist mein Leben, genau das will ich auch erleben.

Geisterspiele?
(lacht) Okay. Bei diesen Spielen wird sich wohl eher jemand für den Sport entscheiden, der sich sagt, ich will bei meiner Arbeit unter keinen Umständen durch irgendwelche Unruhen von außen gestört werden.

Exzesse im Olympiadorf? "Ich war immer zu doof, das mitzukriegen"

Was auch fehlen wird, sind die ungezwungenen Begegnungen der Sportler im Athletendorf, die Exzesse und Orgien dort sind fast legendär.
Sind sie. Aber ich war als Athlet wirklich immer zu doof, das mitzukriegen, ich habe die quietschenden Betten echt für quietschende Betten gehalten. Am nächsten Tag habe ich oft gehört, dass einer sagt: Haste mitgekriegt, wie es da und da abging. Und ich konnte immer nur sagen: Nee, ich habe es wieder nicht mitgekriegt! Meine Exzesse im Athletendorf beschränkten sich auf Wettessen in der Kantine oder dass ich auf Bürostühlen über die Gänge in den Sportlerunterkünften gerast in und dabei einen Sportler aus Kenia abgezogen habe. Das waren meine Highlights. Harmlos, aber immerhin kann es mir keiner nehmen. (lacht)

Was sich geändert hat, wenn man heute hört, dass einer bei Olympia positiv getestet wurde, denkt man an Corona und nicht mehr an Doping.
Stimmt. Das ist ja das nächste große Thema. Wie sauber können diese Spiele sein? Jetzt, wo fast eineinhalb Jahre aufgrund Corona kaum getestet wurde - und man konnte ja nicht gerade behaupten, dass das System vorher lückenlos war. Aber ich gestehe - ich bin da im tiefsten Herzen naiv und will es auch sein. Ich suche mir immer den einen Athleten aus, der wirklich sauber ist, und an dem halte ich mich fest und rede mir ein, es geht auch ohne. Den Gedanken, dass heutzutage Höchstleistungen nur mit unsauberen Mitteln möglich ist, den will ich nicht dauernd in meinem Kopf haben. Wenn ich den Glauben an den sauberen Sport verlieren würde, hieße das ja, dass ich mein Leben, meine Überzeugungen, meine Werte einer falschen Sache gewidmet hätte.

Wir sprachen über Ihre Prägung durch den Rocketman bei den Spielen 1984. Was war das erste sportliche olympische Highlight, das Sie geprägt hat?
Das waren die Spiele 1988 in Seoul. Der 100-Meter-Lauf zwischen Carl Lewis und Ben Johnson. Da gab es in der Familie Busemann klare Trennlinien. Ich war im Team Lewis, mein Bruder im Team Johnson. Und dann siegt Johnson - und mein Bruder triumphierte.

Aber nicht lange. Dann wurde Johnson des Dopings überführt.
Stimmt, der Bruder hat den kurzen emotionalen Triumph, aber ich durfte viel länger jubeln. (lacht)

Doping sei Dank.
(lacht) So habe ich das noch nie gesehen. Interessant, sehr interessant. Aber wie Sie sehen, Doping hat mich schon damals nicht vom Glauben an den sauberen Sport abhalten können. Es kann schön sein, naiv zu sein.

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