Formel Angst: Muss erst einer sterben?
München - Es muss schon einiges passieren, dass Formel-1-Fahrer es mit der Angst zu tun bekommen – und auch noch offen drüber reden. Doch nach dem Reifen-Gate von Silverstone, als reihenweise die hinteren linken Reifen explodierten und den Piloten Gummifetzen um die Helme flogen, war es soweit.
Vor allem Mercedes-Star Lewis Hamilton, dem am Sonntag als erster schon in der achten Kurve der Pneu geplatzt war und Ferrari-Pilot Felipe Massa schimpften auf Reifenhersteller Pirelli und den Automobilweltverband FIA. „Wegen dieser verdammten Reifen setze ich mein Leben aufs Spiel”, ätzte Hamilton, „das ist einfach nicht akzeptabel. Sie machen erst etwas, wenn jemand verletzt wird”. Und Massa setzte sich sogar an die Spitze einer Revolte und drohte offen mit einem Boykott des nächsten Rennens auf dem Nürburgring am Sonntag (14 Uhr, RTL und Sky live). „Ich will nicht sagen, dass wir es tun werden”, sagte Massa, „aber es wäre ein Weg, etwas für unsere Sicherheit zu tun. Für unsere Sicherheit könnten wir das Rennen boykottieren. Darüber werden wir ganz sicher diskutieren.”
Sebastian Vettels Red-Bull-Teamkollege Mark Webber beschrieb das beängstigende Geschehen beim britischen Grand Prix als „Russisches Roulette”. Die spektakulären Reifenplatzer hätten fast zum Rennabbruch geführt. „Ziemlich dicht davor” sei er gewesen, verriet FIA-Renndirektor Charlie Whiting.
„Formel Risiko”, urteilte die italienische Zeitung „La Repubblica”. „Formel 1 in Fetzen”, schrieb „Le Figaro”.
Die Piloten hatten alle Mühe, ihre PS-Monster unter Kontrolle zu halten, die umherfliegenden Gummi-Fetzen gefährdeten zudem andere Piloten. „Da kannst du tot sein bei den Geschwindigkeiten. Wenn dir das ins Gesicht oder auf den Sturzhelm fällt, reißt es dir das Genick ab”, wütete Mercedes-Aufsichtsratschef Niki Lauda bei RTL.
Die FIA hat Einheitshersteller Pirelli umgehend unter Druck gesetzt. „Bis zu unserem nächsten Treffen werden sie ihre Ideen und Vorschläge zum Lösen des Problems unterbreiten”, sagte FIA-Präsident Jean Todt, der Pirelli für den Mittwoch zu einer Krisensitzung bestellt hat.
Dabei ist das Problem hausgemacht. Formel-1-Oberzampano Bernie Ecclestone forderte Pirelli vor der Saison unmissverständlich auf, Reifen zu bauen, die nicht lange halten – um die Show zu verbessern. Doch die Pneus seien nun zu „potenziellen Piloten-Killern” geworden, meinte Ex-Rennfahrer David Coulthard.
Schon die ganze Saison hagelt es Kritik an den Reifen. Um die Sicherheit der Fahrer zu gewährleisten, forderte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff jetzt den Schulterschluss. „Wir müssen alle die Köpfe zusammenstecken. Es will keiner, dass sich ein Fahrer verletzt”, sagte er, „wir sind alle gefordert, den Reifenhersteller zu unterstützen.” Doch Pirelli weiß noch gar nicht, wo das Problem liegt. „Was passiert ist, war nicht vorherzusehen. Diese Art von Schaden ist für uns neu”, sagte Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery, „erst wenn wir die Fakten kennen, können wir entscheiden, was wir als nächstes tun werden.”
Ecclestone stellte dem Hersteller Testtage in Aussicht, um das Problem in den Griff zu kriegen.