Formel 1 in Indien: Armut und High-Tech

Bei der Formel-1-Premiere in Indien werden die Fahrer mit bitterer Armut abseits der Rennstrecke konfrontiert. Für die an Luxus und Komfort gewöhnten PS-Stars eine völlig neue Erfahrung.
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Bei dem erstmals ausgetragenen Grand Prix von Indien sind die Gegensätze zwischen dem Glamour der Rennserie und bitterer Armut so extrem wie nirgendwo sonst im Formel 1 Zirkus.
AP 15 Bei dem erstmals ausgetragenen Grand Prix von Indien sind die Gegensätze zwischen dem Glamour der Rennserie und bitterer Armut so extrem wie nirgendwo sonst im Formel 1 Zirkus.
Hightech-Zirkus Formel 1: Der neu Buddh International Circuit.
AP 15 Hightech-Zirkus Formel 1: Der neu Buddh International Circuit.
Nur knapp 40 Kilometer entfernt: die Slums von Neu- Dheli.
AP 15 Nur knapp 40 Kilometer entfernt: die Slums von Neu- Dheli.
Der Grad des „Wohlstandes“ bemisst sich darin, ob unter Decken oder Wellblechdächern geschlafen werden kann.
AP 15 Der Grad des „Wohlstandes“ bemisst sich darin, ob unter Decken oder Wellblechdächern geschlafen werden kann.
Indische Bauern im Infeld des Buddh Intenational Circuit.
AP 15 Indische Bauern im Infeld des Buddh Intenational Circuit.
Der Kontrast zwischen Glitzerwelt und bitterer Armut ist beim Indien GP so extrem wie nie.
dapd 15 Der Kontrast zwischen Glitzerwelt und bitterer Armut ist beim Indien GP so extrem wie nie.
Glamour an der Rennstrecke: zwei indische Models.
AP 15 Glamour an der Rennstrecke: zwei indische Models.
...ärmliche Verhältnisse nur unweit entfernt.
dapd 15 ...ärmliche Verhältnisse nur unweit entfernt.
Hart arbeitende Frauen neben der Rennstrecke.
dapd 15 Hart arbeitende Frauen neben der Rennstrecke.
Indidsche Arbeiter waschen sich nach getaner Arbeit.
dapd 15 Indidsche Arbeiter waschen sich nach getaner Arbeit.
Nutzt die Formel 1 der indischen Bevölkerung und Wirtschaft?
dpa 15 Nutzt die Formel 1 der indischen Bevölkerung und Wirtschaft?
Oder bleiben die Löhne so niedrig, wie fast nirgendwo sonst auf der Welt?
dapd 15 Oder bleiben die Löhne so niedrig, wie fast nirgendwo sonst auf der Welt?
Ein Inder verdient im Schnitt nur 1000 Euro. Im Jahr!!
AP 15 Ein Inder verdient im Schnitt nur 1000 Euro. Im Jahr!!
Diejenigen, die sich ein Formel eins Ticket leisten können, sicherlich um ein vielfaches mehr.
AP 15 Diejenigen, die sich ein Formel eins Ticket leisten können, sicherlich um ein vielfaches mehr.
Vettel:„Die Umstände, in
denen die Menschen leben, kann man sich bei uns schwer vorstellen.“
AP 15 Vettel:„Die Umstände, in denen die Menschen leben, kann man sich bei uns schwer vorstellen.“

Bei der Formel-1-Premiere in Indien werden die Fahrer mit teils bitterer Armut abseits der Rennstrecke konfrontiert. Für die an Luxus gewöhnten PS-Stars eine völlig neue Erfahrung.

Greater Noida – Wenige Meter vom überdimensionierten Michael Schumacher entfernt haust eine vierköpfige indische Familie im Dreck. Ein Geruch-Mischmasch aus faulen Eiern, Fäkalien und Rauch liegt in der Luft. Es ist am frühen Morgen bereits stickig, der Smog über der Industriestadt Greater Noida vor den Toren des Molochs Neu Delhi lässt kaum Sonnenstrahlen durch. Der Staub legt sich schleichend auf die Bronchien. So wie diese vier Inder leben sie zu Dutzenden in provisorischen Baracken und Verschlägen direkt neben den Hotels für den Formel-1-Zirkus. Der Grad des „Wohlstandes“ bemisst sich darin, ob unter Decken oder Wellblechdächern geschlafen werden kann.

Es ist die Kehrseite der Glitzerwelt Formel 1, die Fahrer, Teamoffizielle und Journalisten bei ihrer Indien-Premiere zu Gesicht bekommen, wenn sie rund 50 Kilometer von Neu Delhi entfernt auf die Straße gehen. Hier am Fuße eines Schumachers-Werbeplakats für das neue Motorsportevent im einstigen Entwicklungsland ist der Formel-1-Glamour noch weiter weg als der Rekordchampion derzeit von seinem achten Weltmeistertitel.

Allem Aufschwung zum Trotz: Die Armut ist noch immer groß auf dem Subkontinent. Das Jahreseinkommen liegt im Schnitt bei nicht einmal 1000 Euro. Im Jahr. „Wenn man mal aus dem Hotel geht und hundert Meter nach links schaut, sieht man das wahre Indien“, sagt Timo Glock nachdenklich. Den Marussia-Virgin-Piloten bedrücken die Verhältnisse. „So extrem wie hier habe ich es noch nirgendwo gesehen.“

Und Schumachers Mercedes-Kollege Nico Rosberg war nach seinen ersten Eindrücken bei dem auch für ihn ersten Indien-Besuch verwirrt: „Ich habe es mir ganz anders vorgestellt. Es ist erschreckend, so etwas zu sehen.“

In den Favelas Sao Paulos war es mal ähnlich, doch dort gehen die Behörden mit Blick auf Fußball-WM 2014 und Olympia 2016 seit einiger Zeit rigoros gegen Armut und Kriminalität vor. „Vielleicht wäre es besser gewesen, erst in fünf Jahren hierherzukommen“, sagt Glock. Auch den Wersauer erschüttern Szenen, wie sich Dutzende Menschen inmitten der Luxushotels für die Fahrer in der ansonsten riesigen Baustelle an einer Wasserquelle drängen.

Am frühen Morgen kommen sie aus ihren Verschlägen inmitten des Bauschutts gekrochen und bahnen sich über Steine, Schmutz und Getier ihren Weg. Das etwa 2x2 Meter große Betonbecken ist das einzig intakte Gebilde weit und breit. Es dient gleichzeitig als Waschmöglichkeit, Quelle für Kochwasser und ist Sammelstelle zum Zähneputzen.

Dennoch: Superstar und Doppelweltmeister Sebastian Vettel ist auch tief beeindruckt. „Die Leute haben nichts und die Kinder springen doch fröhlich über die Straße. Das gibt dir teilweise eine andere Sicht auf die Dinge“, gibt Vettel zu bedenken. „Die Umstände, in denen die Menschen leben, kann man sich bei uns schwer vorstellen.“ Vettel findet es gut und richtig, dass die Formel 1 in Indien fährt.

Auch Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug widersprach Glock. Schon im Vorfeld des Rennens verteidigte der Schwabe die Expansion an den nicht gerade als motorsport-verrückt geltenden Ort. „Jetzt, wo ich das sehe, hat es noch mehr Bedeutung“, sagte Haug nach seiner Ankunft. „Die Formel 1 wird nicht die Probleme Indiens lösen, aber Zeichen setzen.“ Was zunächst vor allem aus wirtschaftlicher Sicht notwendig erschien, bekommt plötzlich auch eine soziale Dimension. „Die von der Formel 1 begleitete wirtschaftliche Weiterentwicklung Indiens wird helfen, Arbeitsplätze zu schaffen und Armut zu lindern“, sagte Schumachers und Rosbergs Vorgesetzter sehr optimistisch.

Auch Rosberg meinte mit Blick auf den für 290 Millionen Euro erbauten Buddh International Circuit: „Wie viele Menschen hier dran verdient haben, ist doch toll.“ Ob es tatsächlich so ist, bleibt dahin gestellt. Indiens Wirtschaftsboom basiert unter anderem darauf, dass Arbeitskraft so billig wie kaum an einem anderen Ort weltweit ist. Während der Bauarbeiten nutzten zahlreiche Arbeiter die neu entstandenen Team-Garagen als Wohnung für sich und ihre Familien, um zumindest für einige Zeit ein (Beton-)Dach über dem Kopf zu haben.

 

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