„Flippi? Am Auftreten kann Ariane noch arbeiten“

Hochsprung-Legende Ulrike Nasse-Meyfarthüber Ariane Friedrichs superblonde Haare, Goldmedaillen, fadenscheinige Ausreden –und die Bedeutung von Organspendeausweisen.
AZ: Frau Nasse-Meyfarth, am Donnerstag kämpft die neue deutsche Hochsprung-Queen um Gold. Was fällt Ihnen denn zu Ariane Friedrich ein?
ULRIKE NASSE-MEYFARTH: Da ich sie noch nie persönlich getroffen habe, fallen mir dazu Hochsprung und superblonde Haare ein. Mehr nicht.
Wie gefällt Ihnen Flippi Friedrich als Typ?
Flippi? Also am Auftreten kann sie noch arbeiten, finde ich.
Inwiefern?
Was wollen Sie hören?
Die Wahrheit!
Ich sage so viel, am Ende zählt die Leistung und wie sie sich dann letztlich verkauft, das ist ihre Sache, nicht meine.
Bei Olympia in Peking erregte Friedrich weniger mit Leistung als mit ihrer Erklärung für das Scheitern Aufmerksamkeit. Da meinte sie, ihr „Po sei härter als Stein“ gewesen.
Man muss eben immer Lehrgeld bezahlen, bevor man zur gereiften Athletin wird. Peking, das war Arianes Lehrgeld. Es ist immer ein bisschen blöd, wenn man die Schuld dann öffentlich auf irgendwas schiebt. Großereignisse wie Olympia oder jetzt die WM, die haben eben wirklich ihre eigenen Gesetze. Das muss man erst lernen, da muss man reinschnuppern, das klappt nicht beim ersten Mal. Da ist man zu naiv, zu unbedarft, was sich dann in solchen Sätzen über den steinharten Hintern manifestieren kann.
Friedrich ist eine der Athletinnen, die beim Sprung und in der Vorbereitung Ruhe haben will, die rhythmisches Klatschen unterbinden will.
Ja, ich hatte auch immer gerne Ruhe. Ich musste in mir selber verharren und ruhig sein. Ich konnte da auch keine Klatscherei haben. Zu meiner Zeit war das aber auch noch nicht so üblich. Das haben dann einige Athleten regelrecht provoziert, und jetzt ist es fast normal. Aber ich habe es nie provoziert, und ich verstehe jeden, der es nicht mag.
Das Duell Friedrich gegen die Kroatin Blanka Vlasic dürfte eines der intensivsten der WM werden. Die haben beide ihre Psychospielchen drauf.
Das ist ein superheißes Duell. Die mögen sich wohl auch wirklich nicht sehr. Die Ariane hat ja auch in Günter Eisinger, den ich ja sehr gut und lange kenne, einen sehr ausgefuchsten Trainer. Der kann und wird ihr da sicher auch einiges für die WM zeigen.
Sie waren zu Ihrer aktiven Zeit ja auch sehr schlank, aber wenn man sich die heutigen Hochspringerinnen anschaut, sind die ja schon eher klapprig.
Ich denke, dass man da jetzt wirklich an der absoluten Grenze angekommen ist. Wenig Fluggewicht zu haben, ist das Eine, aber wenn man zu wenig isst, Essen ist ja Energiezufuhr, dann geht das auch ganz schnell an die Substanz. Und das kann sich heute kein Athlet mehr erlauben. Ich denke, die Athleten wissen sehr genau, wo die Grenze ist. Aber es ist eine Gratwanderung. Die Gefahr, diese Grenze zu unterschreiten, ist ungemein hoch. Ich weiß nicht, ob die alle heute einen Leibwächter vor dem Kühlschrank haben.
Sind Sie froh, dass keine deutsche Athletin bei dieser Heim-WM erst 16 ist, wie Sie bei Ihrem sensationellen Olympiasieg 1972?
Zum Glück geht das heute gar nicht mehr, die Leistungsspitze hat sich in der Leichtathletik so extrem entwickelt, dass man das mit 16 nicht drauf haben kann. Für den Menschen ist das auch sicher besser, wenn der Erfolg nicht zu früh kommt. Ich selber habe mich ja jahrelang in einem regelrechten Schockzustand befunden. Ich habe das alles gar nicht kapiert. Es war nicht einfach zu verarbeiten.
War Gold 1972 mehr Fluch oder Segen?
Mit über 30 Jahren Abstand kann ich sagen, das war in Ordnung so. Aber es gab sicher Momente, in denen ich dieses Gold verflucht habe. Ich habe überall – etwa in der Schule – versucht, normal zu sein, aber auch das ganze Umfeld kam damit nicht zurecht. Ich verlor sicher die Unbefangenheit, die Natürlichkeit. Ich war mit meinen Erfolgen, aber auch meinen Schmerzen, Eigentum der Öffentlichkeit.
Wie verfolgen Sie, mit Ihren persönlichen Erfahrungen, etwa den Absturz eines Kinderstars wie Britney Spears?
Da kann man wirklich nur Mitleid haben. Das ist sicher ein guter Vergleich, aber sie hatte es sicher noch mal unendlich viel schwerer. Sie hatte ja eigentlich gar keine Kindheit, weil sie schon ganz jung ins Showgeschäft kam. Dass man das dann irgendwann nachholen will, ist selbstverständlich. Und wenn man das dann unter den Augen der teilweise unverzeihlichen Öffentlichkeit tun muss, dann ist das schwierig, fast mörderisch. Da muss man geistig sehr gefestigt sein, wenn man das durchstehen will, und das ist man eben normalerweise in diesem Alter nicht.
1984 kam Ihr persönlicher Befreiungsschlag, das Gold bei Olympia in Los Angeles.
Das war das Tüpfelchen auf dem i. Ins Reine gekommen war ich mit mir schon vorher, aber das war die Krönung und ein Abschluss. Für die Welt war es nicht wichtig, für mich selber schon. 1984 habe ich alles bewusst erarbeitet und auch verarbeitet. Ganz anders als 1972 in München.
Der Sport hatte – etwa mit dem 800-Meter-Läufer Rene Herms, der mit 26 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben ist – mehrere überraschende Todesfälle zu beklagen. Sie sind seit Jahren in der Initiative „Sportler für Organspende“ aktiv. Warum?
Krankheit und Tod sind im Sport, der ja eine Inszenierung der Fitness, des Körpers ist, Tabuthemen. Es war ein bewusstes Zeichen, als ich mich engagierte. Und ich habe auch den Organspende-Ausweis selber in meinem Portemonnaie immer dabei. Bei uns in Deutschland ist es ja so, dass die ausdrückliche Zustimmung zur Organentnahme vorliegen muss. Das ist in anderen Gesellschaften anders.
Etwa in Österreich...
Richtig. Und das finde ich auch besser so, dort muss man explizit verweigern, dass man Organe spenden will. Klar gibt es viele Ängste, aber ich bin dafür, dass man es ganz grundsätzlich so regelt, dass man seinen Mitmenschen hilft. Und mit Organspenden kann man Leben retten. Gibt es etwas Besseres als zu wissen, dass man in seinem Todesfall dazu beigetragen hat, dass jemand anders weiterleben kann?
Interview: Matthias Kerber