Finale ohne die Nr. 1: Spannung bei den ATP Finals

Turin/München — Offiziellen Angaben zufolge ist Patrik Kühnen 56 Jahre alt - was aber niemand glaubt, der ihn aus der Nähe sieht. Wer dem dreifachen Davis-Cup-Sieger beim Tennisspielen zuschaut, gibt ihm maximal Mitte 40. Aber auch an ihm nagt der Zahn der Zeit. Probleme an der Achillessehne hatten ihn ein halbes Jahr lang eingeschränkt, was ihn aber in seinem Experten-Job beim Sender Sky nicht einschränkt - und damit zum Sport: zu Carlos Alcaraz, der ebenfalls angeschlagen ist, und zwar dermaßen, dass die ATP Finals ohne die Nummer 1 der Welt auskommen müssen.
ATP startet ohne Alcaraz
"Alcaraz ist für mich der Aufsteiger der Saison", hatte Kühnen unlängst gesagt, als noch nicht feststand, dass der Spanier wegen Bauchmuskelproblemen für Turin absagen musste. Auch Alexander Zverev wird die am Sonntag beginnenden Finals wegen eines Knochenödems verpassen, steht aber womöglich bald vor seinem Comeback. "Die Verletzung war schon ein Einschnitt", sagte Kühnen, "ich hoffe, dass er im Januar zurückkommt. Je länger du raus bist, desto schwerer ist es zurückzukommen. Aber Sascha hat natürlich alle Chancen. Er hat das große Spiel, um dahin zu kommen, wo er vorher war. Es ist eher die mentale Seite, dass du im Match dann in den entscheidenden Momenten, dein bestes Tennis abrufen kannst."
Die Chance für Jungvater Rafael Nadal?
Zweifel an der eigenen Performance hat derzeit auch Rafael Nadal. Nach der Geburt seines Sohnes verlor der Jungvater zum Auftakt des Turniers von Paris. Dem Spanier fehlt offensichtlich Spielpraxis. Auch er selbst könne sich schwer vorstellen, "dass ich jetzt zu den ATP-Finals fahre und meine Form dort gut genug ist, um ein Turnier zu gewinnen, dass ich noch nie zuvor gewonnen habe", sagte der 36-Jährige. Theoretisch könnten er und auch der Grieche Stefanos Tsitsipas in Turin den abwesenden Alcaraz als Nummer eins der Weltrangliste ablösen. Für Kühnen kein unrealistisches Szenario: "Selbst Nadal hat sich im Verlauf seiner Karriere immer verbessert, spielt jetzt auch Serve and Volley, hat seinen Slice verbessert, hat sich gelöst von diesem reinen Sandplatzspieler, ist jetzt mehr Allrounder."
Frisches Blut aus Norwegen
Auch dem Norweger Casper Ruud, gegen dessen Vater Kühnen früher mal gespielt hat, traut er einiges zu: "Casper hatte ebenfalls eine überragende Saison, hat sich wahnsinnig entwickelt." Beim formstarken Kanadier Auger-Aliassime ist er dagegen eher skeptisch: "Der spielt jetzt die vierte Woche in Folge, hat dabei drei Turniere gewonnen. Da ist wahrscheinlich das Thema, wie lange ihm die Kraft reicht."
Geht es um die Favoriten bei den Finals, kommt man an einem Namen nicht vorbei: Novak Djokovic. Patrik Kühnen sagt: "Ich bin sehr gespannt, wie Djokovic spielt. Der war schon oft genau dann da, wenn's gezählt hat. Er hat eben die Erfahrung und hat ja schon oft die Finals gewonnen."
Djokovic: Namenspatron für einen Käfer
Titel und Trophäen hat Djokovic viele gewonnen, doch diese tierische Ehre war auch für ihn neu. Eine im Westen Serbiens entdeckte Käferart wurde nach ihm benannt, was er stolz auf seinen Social-Media-Kanälen postete. Die Eigenschaften des "Duvalius Djokovici" passen gut zum 21-maligen Grand-Slam-Sieger: Schnelligkeit, Flexibilität, Robustheit und die Fähigkeit, sich an schwierige Umstände anzupassen. Die benötigte Djokovic auch in diesem Achterbahn-Sportjahr, das er nun mit einem Rekordsieg zu einem positiven Abschluss bringen will.
Beim traditionellen Saisonabschluss kämpft Djokovic mit sieben weiteren Top-Spielern um den inoffiziellen Titel des Tennis-Weltmeisters. Mit einem sechsten Titel würde er den Rekord des inzwischen zurückgetretenen Roger Federer einstellen. "Ich denke, dass ich gute Chancen habe", sagte die ehemalige Nummer eins, "das ist eines meiner größten Ziele."