Felix Neureuther: Zum Anfassen und Kuscheln

Felix Neureuther posiert für Werbeaufnahmen – und scheint mit 29 endlich den Durchbruch zu schaffen. In der AZ erklären Werbeexperten seine Wirkung – und sagen, wo er noch Potential hat.
MÜNCHEN Felix Neureuther ist einer von 800 Millionen. So viele Männer rasieren sich täglich mit einem Produkt der Firma, die King Camp Gillette, Erfinder des Rasierhobels, vor 112 Jahren gegründet hat. Deutschlands bester Skifahrer, der am Sonntag in Levi (9.45 Uhr, Eurosport) den ersten Weltcup-Slalom der Saison bestreitet, ist aber nicht irgendeiner dieser Millionen, sondern Testimonial des Marktführers, sozusagen der Rasierer der Nation. Endlich angekommen im Big Werbe-Business, im reifen Alter von 29 Jahren.
Warum es so lange gedauert hat, bis der Sympathieträger aus Garmisch-Partenkirchen im TV-Spot mit blanker Heldenbrust seine Bartstoppel entsorgen darf? „Vielleicht ist er gerade erst dabei, entdeckt zu werden“, meint Matthias Lung, Direktor der Bayerischen Akademie für Werbung, „er hat lange gekämpft und nun mit WM-Silber einen schönen Durchbruch errungen. Seine Historie, das, wofür er steht – Beharrlichkeit, Sympathie, Bodenständigkeit –, lässt sich gut verwenden. Die ältere Generation kennt noch seine Eltern. Diese Sympathie-Wucht nimmt man mit ins Werbekonzept.“
Sympathie-Wucht ist auch ein treffender Begriff für Neureuthers Facebook-Profil. Knapp 120.000 Likes hat er dort, fast doppelt so viel wie Maria Höfl-Riesch. „Da macht er einen guten Job“, sagt Lung, „bei social media geht’s um Kuscheln, um Zwischenmenschliches. Je näher am Menschen, desto größer die Identifikation. Die Neureuthers stehen ja alle für Authentizität, sind Typen zum Anfassen. Da baut man Sympathie auf.“ Markus Lichti, Wintersportexperte beim Sportmarketing-Berater Repucom, der unter anderem den FC Bayern, Hugo Boss, und Audi berät, sieht das Werbepotenzial Neureuthers kritischer: „Im Gegensatz zu beispielsweise Dieter Bohlen hat er noch kein klares Image – und damit auch keine Kraft. Das Profil von Höfl-Riesch, Lindsey Vonn oder Bode Miller ist klarer.“
In den Bereichen Sympathie, Leidenschaft und Performance sieht Lichti das Slalom-Ass bei Mittelwerten: „Das ist gefährlich! Lieber ein klares Unsympathie-Bild als gar keins. Neureuther steht für einen angenehmen Schwiegersohn, der nichts falsch macht. Er muss etwas tun, um da rauszukommen.“ Mit klaren Statements zu Olympia 2022 („Was in Sotschi passiert, gefällt keinem, mir auch nicht. Wir alle hätten uns gewünscht, dass wir in Deutschland zeigen dürfen, dass es auch anders geht“) habe Neureuther sein Profil nun geschärft, sagt Lichti. Generell habe man in Deutschland das Phänomen, „dass Biathlon zuletzt jede andere Wintersportart überholt hatte, inklusive Skispringen“, so Lithi, „bei Neureuther kommt hinzu, dass Zweiter und Dritter nicht schlecht ist, aber dass diese Sportler sehr viel mehr strampeln müssen, um eine tiefe Verankerung beim Rezipienten zu erreichen.“ Außerdem handele es sich bei ihm nicht um konstanten Erfolg, sondern um punktuellen, anders als bei Vonn, die Dauer-Erfolge gefeiert hat.
„Die Performance des Athleten und die Attraktivität seiner Sportart sind ausschlaggebend für Werbetreibende.“ 22 Prozent der Deutschen gaben an, Neureuther zu kennen. Damit liegt er mit Höfl-Riesch an der Spitze der deutschen Wintersportler. „Der Name Neureuther klingt halt“, sagt Lichti.
Bei Gillette bewegt er sich nun im Umfeld von Stars wie Roger Federer, Thierry Henry, Tiger Woods. „Da kann man sagen: Er ist angekommen“, meint Lichti, „vielleicht ist das der Vertrag, auf den er gewartet hat, auch um zu sagen: ,Das ist meine Liga.’ Was fehlt, ist eine Antwort auf die Frage: ,Was ist meine Marke?’ Wenn er es schafft, seine Eigenmarke klarzumachen, dann wird es auch gut und löst sich ein wenig vom sportlichen Erfolg.“